Vom Himmel in Die Traufe
wie Katzen, Hunde, Meerschweinchen und Ähnliches ausgesetzt werden, und dann laufen Tierschützer in den Wohnvierteln und auf den Mülldeponien herum, um die armen Viecher einzusammeln. Überschuldete Personen und jene mit Zahlungsschwierigkeiten sind noch ein Kapitel für sich, und auch unter ihnen finden sich viele Arbeitslose.«
Pekka sagte, dass ihm schon manchmal der Gedanke gekommen sei, dass es einen Aufstand geben müsste, um das ganze System zu erneuern. Alles Alte sprengen und an seiner Stelle einen neuen, gesünderen Staat errichten. Liisa bemängelte seine drastische Ausdrucksweise, obwohl sie in vielen Dingen mit ihm einer Meinung war.
»Andererseits saugt zu viel Arbeit die Menschen aus. Es gibt Familien, da leisten die Eltern ständig Überstunden, sie müssen es tun, wenn sie ihren Arbeitsplatz behalten wollen, und sie haben niemanden, der sich um die Kinder kümmern kann, selbst wenn sie es noch so gern wollten. So landen dann Kinder aus absolut soliden Familien in irgendwelchen Gangs, oder sie hängen die ganze Nacht in Discos oder auf Feten herum. Morgens in der Schule sind sie völlig fertig, dösen in den Stunden vor sich hin, oder sie stören und lärmen, sodass auch die Mitschüler nichts lernen. In Finnland herrscht ein schreckliches Chaos.«
Hermanni Heiskari war drauf und dran, einzuhaken und darauf aufmerksam zu machen, dass keineswegs alle Arbeitslosen Drückeberger und Sozialschnorrer seien, sondern die meisten anständige Leute, die sich ehrlich wünschten, wieder Arbeit zu finden. Doch dann sagte er sich, dass es wohl keine so gute Idee wäre, mit den Gastgebern einen Streit über die Moral der Arbeitslosen anzufangen. Man war hier viel zu weit weg von den Problemen, war auf der anderen Seite des Erdballs, also ließ er es auf sich beruhen.
Aus dem Kinderzimmer war forderndes Geschrei zu hören. Liisa eilte dorthin, um das Baby zu beruhigen. Sie erklärte, dass die Kleine noch nicht mal einen Namen habe, obwohl sie schon vier Monate alt sei. Aber die Eltern konnten sich nicht entschließen, welcher Kirche sie beitreten wollten.
»Hier haben wir unseren wunderbaren kleinen Abendstern«, plapperte Liisa. Pekka pries das Baby als sehr brav. Es hielt die Eltern nachts nie wach, hatte keine Mittelohrentzündung oder dergleichen, war ein pflegeleichtes Kind.
Pekka musste zur Spätschicht aufbrechen. Er lud Hermanni und Ragnar ein, am nächsten Tag in den Handelshafen zu kommen. Dort würden Schafe auf ein Viehtransportschiff geladen. Das war ein sehenswertes Schauspiel, beteuerte er und versprach, als Guide und Gastgeber zu fungieren, denn Außenstehende hatten keinen Zutritt zum Hafen, vor allem sollte niemand beim Verladen der Schafe Zeuge sein.
Als Pekka weg war, holte Liisa aus der Schlafkammer zwei Paar Handschuhe, die auf traditionelle finnische Art aus Schafwolle gestrickt waren und die sie Ragnar übergab. Sie bat ihn, die Handschuhe mitzunehmen und in Vantaa ihren beiden ältesten Kindern zu überbringen. Auf dem Päckchen stand die Adresse, aber per Post wollte Liisa es nicht schicken, denn der Sohn würde bald zur Armee gehen und die Tochter hatte in ihrem letzten Brief angedeutet, dass sie möglicherweise in eine andere Mietwohnung umziehen müsste.
»Leena soll im kommenden Frühjahr Abitur machen, und ich bin sehr in Sorge, ob sie klarkommt, nachdem wir auf die andere Seite des Erdballs gezogen sind. Manchmal habe ich so schreckliche Sehnsucht und bin so traurig, dass ich einfach weinen muss.«
Die Kinder hatten nicht mit den Eltern nach Neuseeland mitgehen mögen, sie hatten in Vantaa ihre Freunde, ihre Schule, das Studium, die Armee. Die Eltern schickten Geld nach Finnland, schrieben oft und wollten sich sogar ein Fax anschaffen, damit die Briefe schneller ans Ziel kamen. Aber in Finnland hatten sie einfach nicht länger bleiben können. Liisa brach in Tränen aus.
»Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen … bitte nehmen Sie ihnen doch diese Handschuhe mit, es steckt für jeden ein Gedicht drin, das wir selbst geschrieben haben, Pekka hat sich den Inhalt ausgedacht, ich habe gereimt … Falls die beiden umgezogen sind, ermitteln Sie doch freundlicherweise die neuen Adressen … ach, wahrscheinlich machen sich die jungen Leute heute gar nichts mehr aus solchen Sachen.«
Als Liisa sich beruhigt hatte, begann sie das Baby zu stillen.
»Aber wir haben ja dich, mein kleiner Abendstern … ja, wie sollen wir denn Mamas Schätzchen nennen, Sari oder Marja? Oder
Weitere Kostenlose Bücher