Vom Himmel in Die Traufe
war kein diplomatisches Spiel, sondern bedeutete gnadenloses Töten. Diese Tatsache erkannte man erst nach Ende eines Krieges, nicht vor seinem Ausbruch.
Auf dem langen Flug über den westlichen Stillen Ozean hatten die Männer genug Muße, auch über ihren eigenen rein finnischen Bürgerkrieg zu sprechen. Zunächst vergewisserten sie sich, dass in der Nähe keine Finnen oder Finnisch sprechende Reisende saßen, anschließend konnten sie sich die Zeit damit vertreiben, die Details des Aufstandsprojekts zu rekapitulieren und Ergänzungen zu planen. Da sie sich fernab ihrer Heimat befanden, kam ihnen die Frage in den Sinn, wohin die Führer des Aufstandes nach einem möglichen Misserfolg fliehen könnten. Wahrscheinlich käme kein einziges Mitgliedsland der EU für diesen Zweck infrage, sagten sie sich. Die EU konnte Personen, die sich gegen die legale Regierung eines ihrer Mitgliedstaaten erhoben hatten, nicht den Status des politischen Flüchtlings zuerkennen, das war klar. Auch nicht, wenn ihnen in ihrem Heimatland das Todesurteil drohte. Norwegen war das nächstgelegene denkbare Asylland, denn es gehörte nicht der EU an, aber als sicher konnte es ebenfalls nicht gelten, war es doch altes NATO -Mitglied, und die politischen Beziehungen zwischen dem Nordatlantikpakt und der Europäischen Union waren logischerweise sehr eng. Dasselbe traf auf Island zu.
Natürlich konnten die Aufstandsführer durch die Wälder nach Russland fliehen, immerhin gab es tausend Kilometer gemeinsamer Grenze, aber der Gedanke an politisches Asyl irgendwo im hintersten Russland, in den betongrauen, vom Permafrost umgebenen Städten, erschien schon in der Theorie fast noch schlimmer als der Tod am Galgen im heimatlichen Finnland. Hermanni hielt an der Grenze zwischen Finnland und Russland eine Flüchtlingsbewegung in beide Richtungen für denkbar, wenn die aufständischen Finnen in ihrer Not über die Ostgrenze nach Russland fliehen würden und von dort, ebenso verschreckt, massenweise Opfer der Glaubenskriege aus Südrussland nach Finnland hereinströmen würden. Die finnischen Arbeitslosen würden nach Russland fliehen, und als Gegengeschenk bekäme Finnland Kalmücken, Uiguren, Tschetschenen, Kosaken, Armenier und Azeren.
Ragnar Lundmark fand, dass die Führer des finnischen Aufstands schon im Voraus funktionierende Beziehungen zur Schweiz und zu anderen neutralen europäischen Ländern herstellen sollten. Nach Russland, so sagte er, war im Verlauf der Geschichte noch niemand freiwillig geflohen. Er vermutete, dass selbst Albanien für die finnischen Revolutionsführer ein angenehmeres neues Heimatland wäre als der östliche Nachbar.
»Nun übertreib nicht«, versuchte Hermanni Heiskari die Antipathie seines Butlers gegen Russland zu dämpfen.
Die Türkei und vor allem Malta kamen noch als mögliche Asylländer infrage.
Gemeinsam fanden sie heraus, dass auch Neuseeland in Betracht kam, wenn der politische Asyltourismus erst mal anlaufen würde. In diesem Sinne hatten sie ihr Reiseziel zufällig perfekt gewählt. Neuseeland war ohne Zweifel industriell entwickelt, dort wurden die westlichen Rechtsprinzipien anerkannt, und auch vom Klima her war es für Finnen geeignet.
In Neuseeland herrschten harte Wetterbedingungen, ein tropischer Sturm fegte über den Inselstaat, als Hermanni Heiskari und Ragnar Lundmark eintrafen. Der schwere Jumbojet knarrte und wackelte, als er auf dem Flughafen von Auckland landete, und der Zubringerbus musste auf seinem Weg in die Stadt mehrmals wegen des starken Regens anhalten. Hermanni hatte irgendwo gelesen, dass es in Neuseeland siebzig Millionen Schafe gab, und er sagte teilnahmsvoll:
»Bei diesem Wetter ist die Wolle der armen Viecher bestimmt bis auf die Haut nass.«
In Auckland gingen sie schnurstracks ins Hotel und legten sich schlafen. Erstmals in seinem Leben verspürte Hermanni die Belastungen eines Langstreckenfluges. Er wunderte sich, denn er hatte ja seinen Körper gar nicht angestrengt, sondern nur in seinem engen Sitz in der Touristenklasse gehockt und aus halb geschlossenen Augen die Wolkenmassen unter sich betrachtet, und trotzdem war er fast so müde wie einst in jungen Jahren, wenn er wochenlang hintereinander Stämme geschlagen hatte. Die Zeitumstellung als Folge der zurückgelegten Distanz verhinderte den Schlaf, und Hermanni musste sich wieder einmal eingestehen, dass auch das Leben der Herren nicht immer ein Zuckerschlecken war. All die reichen Säcke, die dauernd im Ausland
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