Vom Himmel in Die Traufe
vom aktuellen Stand ihrer Geschäfte.
»Die Krise und der verzerrte Wettbewerb setzen der Reedereibranche hart zu. Die Konkurrenten versuchen mich mit vereinten Kräften in den Konkurs zu treiben. Deshalb stehe ich im Begriff, die Aktien meiner Reederei zu veräußern, ehe ihr Wert in den Keller fällt. Es kann sein, dass ich meine Betätigung als Reederin gänzlich einstellen muss. Euer Krieg sollte möglichst bald ausbrechen«, sagte Lena in ernstem Ton.
Auf diese schlechte Nachricht fiel den zwei Habenichtsen kein Kommentar ein.
»Ich versuche jedoch die Aktienmehrheit der Spedition zu halten«, fuhr Lena fort. Dadurch lockerte sich die Stimmung ein wenig, sodass Ragnar die überarbeiteten Aufstandspläne in ihrer jetzigen Form vorstellen konnte. Lena billigte das Handbuch für den Bau von Schutzräumen, das er verfasst hatte, und versprach, alsbald eine geheime Auflage von fünfzigtausend Stück drucken zu lassen. Anschließend aßen sie gemeinsam im Salon zu Abend und fuhren zur Nacht ins nahe Flughafenhotel. Ragnar schlief in einem Zimmer, Lena und Hermanni im anderen. Am Morgen nahm Lena am Terminal für die Inlandsflüge die Maschine nach Maarianhamina, Ragnar und Hermanni bestiegen vor dem internationalen Terminal eine alte DC 10 der Finnair, deren Ziel Tokio war. Unterwegs sprachen sie kaum miteinander, sondern schliefen hauptsächlich. Ragnar war immer noch sauer auf Hermanni wegen seiner Exzesse in Dublin. Und auch Hermanni war nicht gerade erpicht darauf, mit dem alten neunmalklugen Homo Frieden zu schließen, der außerdem einen strengen Parfümgeruch verströmte.
In Tokio gerieten sie in den gewaltigen Stau zwischen dem Flughafen Narita und dem Hotel- und Geschäftszentrum Sinjuku. Sie blieben nur einen Tag in der Stadt und besuchten das kaiserliche Kriegsmuseum. Besonders interessierten sie sich für die Säuberungsaktionen, die die Japaner im Zweiten Weltkrieg gegen die Partisanen in China, Südostasien und auf den Inseln im Stillen Ozean durchgeführt hatten. Auch ihre Kämpfe gegen die Russen, als diese in der Endphase des Krieges die Kurileninseln besetzten, interessierten Hermanni und Ragnar, Letzterer machte sich mit Blick auf eventuellen Bedarf Notizen über die Kriegsführung der Japaner.
Weiter ging die Reise nach Neuseeland. Der Flug dorthin dauerte elf Stunden. Auf dieser Etappe besserte sich das Verhältnis zwischen den beiden und erreichte fast wieder den früheren Stand. Vielleicht trug auch die Tatsache mit dazu bei, dass Ragnar in Tokio ein neues japanisch-französisches Parfüm gekauft hatte, das Hermannis Riechorgan nicht so strapazierte wie das vorige. Der neue Duft hieß Tanzender Samurai , Ragnar zeigte das eckige kleine Fläschchen. Auf dem Etikett war ein stattlicher Japaner im uralten Kampfgewand und mit Schwert abgebildet, der mit einer im Stil der Dreißigerjahre gekleideten mageren Französin Tango tanzte.
Hermanni stellte Betrachtungen darüber an, wie es Europa und Finnland ergangen wäre, wenn die Achsenmächte den Krieg gewonnen hätten. In London würde Deutsch, Italienisch und Japanisch gesprochen, und in Helsinki gäbe es eine japanischsprachige Universität. Die Füße der Pariser Huren wären verbunden wie die der Geishas, und in Moskau hätte man Stalin und Molotow vorgeschlagen, Harakiri zu begehen.
Nach Ragnars Meinung hätte eine Niederlage der Alliierten zu einem Krieg zwischen Deutschland und Japan und einer Neuaufteilung der ganzen Welt geführt. Die USA wären durch Atomwaffen zerstört worden, das Gleiche wäre mit Europa geschehen. Die gesamte Menschheit wäre japanisiert worden.
»Statthalter auf den Ålandinseln wäre heute ein japanischer Admiral, und sämtliche Schiffe der dortigen Reeder würden unter japanischer Flagge segeln.«
Hermanni bestätigte, dass die Welt einer totalen Vernichtung nie so nahe gewesen war wie gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Es war nur eine Frage der Zeit, wann Deutschland oder Japan Atomwaffen eingesetzt hätten, ein wahnwitziger Wettlauf hin zum Untergang, den die USA mit zwei Bombenlängen gewonnen hatten.
Ragnar fand, dass die Zerstörung von Nagasaki und Hiroshima somit eine großartige Friedensaktion gewesen war, ungeachtet dessen, dass dabei Hunderttausende unschuldiger Menschen getötet worden waren.
Hermanni fand diese Denkweise zynisch, allerdings musste auch er zugeben, dass man unter Kriegsbedingungen den Frieden nicht durch Verhandlungen erreichte, sondern nur durch den Einsatz roher Gewalt. Krieg
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