Vom Himmel in Die Traufe
der Doktor mit dem Gedanken ein, dass er seinen Auftrag schlecht erledigt hatte, da er seine beiden in Not geratenen Landsleute nicht hatte finden können.
In den frühen Morgenstunden wurde ein zweiter Patient ins Zimmer gebracht, ein junger und aufgeregter neuseeländischer Seemann, der in sehr schlechter Verfassung war, er war über und über mit schwarzem Öl beschmiert und brabbelte die ganze Zeit eine unverständliche Geschichte von Zigtausend Schafen, die im Ozean ertrunken waren. Sorjonen glaubte zunächst, Fieberträume zu haben, aber als der Bursche seine Geschichte wieder und wieder erzählte, musste er notgedrungen aufwachen. Mit dem Schlaf war es für diese Nacht vorbei. Gegen fünf Uhr erschien ein Sanitäter der französischen Marine, um den Körper des brabbelnden Patienten von der Ölschicht zu befreien. Ein strenger Geruch nach Lösungsmitteln und schwerem Heizöl verbreitete sich im Raum.
Doktor Sorjonen gewann den Eindruck, dass besagter Patient vor einiger Zeit auf einem philippinischen Viehtransportschiff als Decksmann angeheuert hatte. In Auckland war das Schiff mit achtzigtausend Schlachtlämmern beladen worden, die nach Jordanien gebracht werden sollten. Nach zweitägiger Fahrt war das Schiff schon mitten im Stillen Ozean gewesen, und alles hatte bis dahin gut geklappt, lediglich zweihundert Schafe waren in den Verschlägen eingegangen. Die Kadaver hatte man ohne viel Federlesens über Bord geworfen. Dann war im Maschinenraum ein Feuer ausgebrochen, und viele philippinische Maschinisten waren im siedenden Öl verbrutzelt.
Der Rest der Mannschaft hatte eine Weile überlegt, was mit den armen Viechern zu tun sei. Der Kapitän hatte erklärt, dass Schafe seines Wissens nicht schwimmen konnten, auf jeden Fall aber nicht in der Lage wären, Tausende Kilometer bis ans Festland zu paddeln. Und sie zu töten war ein hoffnungsloses Unterfangen, es gab nicht genügend Beile oder Pistolen, auch war nicht die Zeit, auf einem brennenden Schiff achtzigtausend Schafe zu schlachten. Nichts zu machen, jetzt ging es um das Leben der Mannschaft, sie musste das Schiff verlassen.
Jener Patient in Sorjonens Nachbarbett hatte immerhin noch aus Barmherzigkeit hundert Schafe geschlachtet, ehe auch er einsehen musste, dass sein eigenes Leben wichtiger war als das Schicksal der Schafe. Das Schiff hatte bereits starke Schlagseite gehabt, und so war er am Fallreep hinuntergeklettert, um sich schwimmend zu retten, und im Meer hatte er sich dann über und über mit Öl beschmiert. Sechzehn Stunden später hatte ein indisches Frachtschiff die Mannschaft aufgenommen. Ein Teil der Leute war anschließend zur medizinischen Behandlung auf die Cookinsel Rarotonga geflogen worden, einzig ihn, den Neuseeländer, hatte eine Maschine der französischen Luftwaffe an Bord genommen.
Um den Mann zu beruhigen, erzählte Doktor Sorjonen ihm seine eigene Geschichte, die kürzer und nicht ganz so dramatisch war. Gemeinsam kamen sie zu dem Schluss, dass ein tüchtiger Drink guttäte, wenn nur erst der Morgen käme. Der schwer gebeutelte Seemann wurde allerdings noch vor dem Morgen zu weiteren Untersuchungen abgeholt.
Alarmiert durch ein Fax von Lena, begaben sich Hermanni und Ragnar am nächsten Morgen ängstlich zum Flugplatz, um Sorjonen abzuholen, aber er tauchte nicht auf. War der Doktor vielleicht schon vergangene Nacht angekommen, als eine frühere Maschine aus Südostasien gelandet war? So blieb ihnen nichts weiter übrig, als die Kliniken von Papeete zu durchkämmen. Sie fragten im allgemeinen örtlichen Krankenhaus, ob ein Finne dort aufgetaucht sei. Nein, aber es war jemand gekommen und hatte nach Finnen gefragt. Auch im Privatkrankenhaus hatte man Sorjonen nicht gesehen, das Personal fragte allerdings verwundert, was die Finnen eigentlich für Leute waren, da sie sich gegenseitig in Krankenhäusern suchten. War es in Finnland üblich, sich in Kliniken zu verabreden?
Im Hospital der französischen Marine wurden sie fündig, Doktor Seppo Sorjonen lag allein für sich in einem Zimmer, schläfrig und an den Tropf angeschlossen. Auf dem Nachtschrank stand ein französisches Frühstück bereit: Kaffee und Croissants sowie ein Glas Calvados. Der Mann, der da im Bett lag, war in den Vierzigern, er hatte blondes Haar und einen blonden Bart und sah so finnisch aus, dass Hermanni Heiskari ihm ohne zu zögern die Hand reichte und fragte:
»Doktor Sorjonen, nehme ich an?«
30
Am nächsten Tag war Doktor Seppo Sorjonen so weit von
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