Vom Himmel in Die Traufe
Genesung länger dauerte, als angenommen. Er faxte auf die Ålandinseln eine wehleidige Jeremiade, der zufolge sich herausgestellt hatte, dass Hermannis Malaria eine durch Bilharz-Larven verursachte Muskelerkrankung war, und sein eigenes Bein wiederum hatte sich entzündet und musste demnächst operiert werden.
»Somit können wir nicht mehr in diesem Jahr nach Europa zurückkehren, sondern erst in ein, zwei Monaten. Es zerreißt mir das Herz, dir diese Tatsachen erzählen zu müssen, aber wir haben hier in Tahiti niemanden, keinen einzigen Landsmann, dem wir uns anvertrauen könnten, du bist die Einzige, an die wir uns in unserem Kummer wenden können.«
Dieses letzte Fax las er Hermanni nicht vor, sondern erwähnte nur, dass er Lena über die Tatsache unterrichtet habe, dass ihrer beider körperliche Beschwerden die weitere medizinische Behandlung in Tahiti erforderlich machten.
Hoffnungsvoll rechnete Ragnar sich aus, dass sie ihren Urlaub in Tahiti um weitere Monate verlängern könnten. Sein Gewissen protestierte kaum gegen diese Lügen. Eine mögliche Erklärung war, dass sich das Opfer des Betrugs weit weg, auf der anderen Seite des Erdballs, befand, was die Gewissensbisse fast gänzlich verstummen ließ. Vielleicht also machte es die riesige Entfernung zwischen Täter und Opfer, vielleicht auch der große Zeitunterschied, jetlag , criminal lag .
Ragnar hätte nicht zu sehr nach dem Zauber Tahitis gieren dürfen. Lena Lundmark erschrak bis ins tiefste Herz, als sie den jüngsten Bericht ihres Onkels las. Sie rief auf der Stelle ihren Leibarzt Doktor Seppo Sorjonen an. Die aufgeregte Braut bat den Doktor, unverzüglich nach Tahiti zu fliegen und sich um Hermanni Heiskaris und Ragnar Lundmarks Gesundheit zu kümmern. Lena vertraute der polynesisch-französischen Medizinkunst nicht, zumal sich die Beschwerden der beiden Herren trotz eingeleiteter Behandlung nur zu verschlimmern schienen.
Doktor Sorjonen gab zu, dass er stets von einer Reise in die Südsee geträumt hatte, nur leider hatte er bereits zugesagt, in zwei Wochen auf dem internationalen Orthopädenkongress in Lissabon einen Vortrag zu halten. Er hatte also nicht die Zeit, ein anspruchsvolles Referat vorzubereiten und gleichzeitig auf die andere Seite des Erdballs zu reisen, um eine Unterschenkeloperation zu überwachen und sich um die Bilharziose eines fliegenden Holzfällers zu kümmern. Die Berufsbezeichnung des Letzteren nannte er freilich nicht laut. Er forderte Frau Lundmark auf, sich an einen willigeren Kollegen zu wenden. Es gab ja sogar unter den Arbeitslosen Ärzte.
»Aber Sie sind nun mal in meinen Augen der beste Orthopäde der Welt«, seufzte Lena.
Doktor Sorjonen musste zugeben, dass seine Patientin recht hatte. Und außerdem, eine überraschende Reise nach Tahiti würde ihm bestimmt nicht schaden. Sie vereinbarten, dass der Doktor das Material seines Vortrags mitnehmen und gleich am nächsten Morgen auf die andere Seite des Erdballs fliegen würde.
Womöglich erkältete sich Doktor Sorjonen in Singapur, als er dort zu nächtlicher Stunde umherstreifte, denn als er vierundzwanzig Stunden später und nach vielen Zwischenlandungen in Tahiti ankam, hatte er hohes Fieber, vor seinen Augen tanzten Sterne, die Glieder schmerzten gnadenlos, und sein Atem rasselte wie der eines Sterbenden. Zum Glück konnte er sich als Fachmann selbst verarzten, auch war er ja ohnehin auf dem Weg ins Krankenhaus. Mit dem Blumenkranz um den Hals bestieg er auf dem Flugplatz ein Taxi und fuhr im Gewitterregen in die Stadt. Der Donner grollte und Blitze zuckten, sowohl draußen als auch im Schädel des Doktors.
Im Krankenhaus von Papeete gab es keine finnischen Patienten. Äußerst merkwürdig, dachte Sorjonen in seinem Fieber. Waren die beiden inzwischen gestorben? Es gab in der Stadt noch eine zweite Klinik, eine private, aber auch dort kannte man die Messieurs Lundmark und Heiskari nicht, und sie hatten sich dort auch nie aufgehalten. Blieb noch das französische Marinehospital, in das sich Sorjonen mit letzter Kraft schleppte. Auch hier hatte man weder einen finnischen Oberst noch seinen Begleiter als Patienten … böse Geschichte.
Der französische Oberstabsarzt, mit dem Sorjonen in der Sache sprach, schlug ihm vor, gleich selbst zur Behandlung dazubleiben. So schickte man ihn also unter die Dusche, brachte ihn anschließend in einem Privatzimmer für zwei Personen unter, und kurz darauf war auch schon der Tropf angeschlossen. Erschöpft schlief
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