Vom Himmel in Die Traufe
Hochzeitsreise würde sie gern mit dem Heißluftballon machen. Starten würden sie auf dem Ukonkivi im Inarisee, und an der Stelle, wo der Ballon niederginge, würden sie ihr gemeinsames Heim errichten.
Als Ragnar diese Stelle aus dem Brief laut vorlas, wurde Hermannis Miene ernst. Ein leises Verlangen nach Freiheit zog durchs Gemüt des fliegenden Holzfällers.
Der Brief endete mit dem Wunsch, dass die beiden Gefährten mit der hemmungslosen Verschwendung Schluss machen, in ein billigeres Hotel umziehen und binnen Kurzem nach Europa zurückkehren sollten, wo die Lebenshaltungskosten dann doch niedriger waren als im maßlos teuren Tahiti. Lena erklärte, dass sie Hermanni zwar als Dank für die Rettung ihres Lebens ein Jahr freien Unterhalt ohne Beschränkungen versprochen hatte, aber dieses Versprechen hatte sie im Frühjahr gegeben, als ihre Geschäfte noch gut liefen. Das Leben einer reichen Frau war viel wert, gab Lena zu. Die Belohnung, die sie Hermanni im Frühjahr in Aussicht gestellt hatte, war dem angemessen gewesen. Aber jetzt, da sich das Jahr seinem Ende näherte, hatte sich ihre finanzielle Situation wegen der Schwierigkeiten in ihrer Reederei radikal verschlechtert, und somit war ihr Leben nicht mehr so ungeheuer viel wert wie noch vor einem halben Jahr. Da der Wert ihres Lebens gesunken war, war auch die dafür zu zahlende Belohnung nicht mehr so hoch, fand sie. Diese Tatsache sollten die beiden leichtlebigen Herren gefälligst beachten. Lena schloss ihren Brief mit dem Wunsch nach Rückkehr der beiden und mit lieben Grüßen an Hermanni wie auch an Ragnar.
Mit ernstem Blick rollte Ragnar das Fax zusammen. Die beiden schwiegen eine Weile. Dann meinte der Oberst:
»Um diese Jahreszeit fallen in Finnland Graupelschauer.«
»Ja, genau.«
Ragnar gab zu, dass er im letzten halben Jahr für Hermanni und sich selbst die besten und zugleich auch teuersten Hotels gewählt hatte. Sie hatten die leckersten Delikatessen der Welt genossen. Sie hatten edle Sportarten betrieben, in der Tat. Sie hatten sich unter der Anleitung fähiger Lehrer mit kultivierten Dingen beschäftigt. Sie waren mit den Maschinen der besten Fluggesellschaften geflogen und weit gekommen. All das war Fakt. Lena beklagte nicht zu Unrecht die hohen Ausgaben.
Auch Hermanni musste zugeben, dass man Lena nicht wirklich kleinlich nennen konnte, selbst wenn sie sich über die Kosten aufregte. Zweifellos hatte er in letzter Zeit mehr Geld verbraten als in seinem ganzen bisherigen Leben. Sogar viel mehr, als ein alter fliegender Holzfäller in zwei oder auch drei Leben ausgeben kann.
»Wir müssen wohl nach Europa zurückkehren«, meinte er gedankenverloren, denn immerhin war er der Bräutigam und somit am festesten an Lena gebunden.
»Tja … Europa. Das ist natürlich auch ein Erdteil«, seufzte Ragnar ohne allzu große Begeisterung.
Hermanni stellte Überlegungen an, welche europäischen Länder besonders preiswert waren, wo der Tourist also am meisten für sein Geld bekäme. Er zählte auf:
»Bulgarien, Rumänien, Polen? Albanien?«
Ragnars Gesicht färbte sich grau. Regenschauer auf einer schmutzigen polnischen Dorfstraße verlockten wahrlich nicht dazu, eine Reise dorthin zu planen. Und auch Hermanni ersparte sich Reklamefloskeln von moderner bulgarischer Architektur oder rumänischer Esskultur. Auch der neue freie Lebensstil in Albanien war beiden kein Anlass zu echter Begeisterung. Von den billigen Ländern Europas kamen eventuell noch die Türkei oder Portugal infrage, für den Fall, dass Lena sie allen Ernstes aus Tahiti zurückbeordern würde.
»Am besten, ich setze mich hin und entwerfe einen Antwortbrief an Lena«, entschied Oberst und Butler Ragnar Lundmark. »Ich kenne nämlich meine Nichte. Sie übertreibt wahrscheinlich bei ihren finanziellen Schwierigkeiten, weil sie Sehnsucht hat und ihren Bräutigam bei sich haben will.«
Ragnar verfasste noch am selben Abend einen sorgfältig formulierten, eindringlichen Brief, den er als Fax nach Maarianhamina schickte.
»Liebe Lena! Ich danke dir sehr für deine sehnsuchtsvollen Worte, die dein Bräutigam und ich lange und andächtig studiert haben. Und so beeilen wir uns, dir gleich zu antworten, damit du dir keine Sorgen um uns machst.
Wir haben also hier auf dieser Insel, die zu Frankreich gehört, fleißig die verschiedensten Kavalierssportarten trainiert. Hermanni Heiskari ist heutzutage bereits ein vollendeter Gentleman. Was das betrifft, könnten wir sehr wohl in
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