Vom Himmel in Die Traufe
billigere Gegenden Europas und später auch nach Finnland zurückkehren. Im Grunde genommen hatten wir uns sogar schon die Tickets für den Rückflug besorgt, als eine überraschende und an sich traurige Wende eintrat. Hoffentlich bist du nicht allzu erschüttert, aber ich muss dir gestehen, dass wir in letzter Zeit nicht ganz gesund waren. Hermanni hat bereits seit einer Woche Fieber, und wir befürchten, dass er an Malaria erkrankt ist. In diesem Zustand kann er auf keinen Fall reisen. Unser hiesiger Arzt hat vorsichtig prognostiziert, dass die Krankheit nach intensiver Chininbehandlung vielleicht innerhalb von drei Wochen oder einem Monat abklingt, sodass wir dann wieder bereit wären, unsere wenigen Sachen zu packen und die Reise nach ursprünglichem Plan fortzusetzen.
Hermannis Erkrankung muss durchaus ernst genommen werden, und leider Gottes hat auch mich ein böses Missgeschick ereilt. Ich habe mir nämlich knapp unterhalb des Knies das linke Bein gebrochen. Das Unglück passierte, als wir in aller Ruhe am Strand entlangritten. Aus irgendeinem unbegreiflichen Grund ging mein Pferd plötzlich durch und warf mich ab mit der Folge, dass ich unsanft im Sand unmittelbar am Wasser landete. Das wäre vielleicht nicht weiter schlimm gewesen, hätte nicht gerade dort die dicke Luftwurzel einer Palme herausgeragt, auf die mein Schienbein mit voller Wucht traf. Ein unangenehmes Knacken war zu hören, und ich lag in vollkommen hilflosem Zustand im feuchten Sand.
Hermanni brachte mich sofort in die Klinik nach Papeete, und jetzt ist mein linkes Bein bis zur Hüfte vergipst. Anhand der Röntgenaufnahmen konnte festgestellt werden, dass sich der Bruch in guter Fixierungslage befindet, aber da es sich um einen großen und tragenden Knochen handelt, muss ich noch reichlich einen Monat in Gips liegen. Das ist sehr beschwerlich, denn das Klima ist feucht und warm und der Heilungsprozess sehr schmerzhaft. Es ist undenkbar für mich, in ein Flugzeug einzusteigen, schon allein deshalb, weil das vergipste Bein auf keinen normalen Flugzeugsitz passt und so viel Platz benötigt, dass allein für mich drei Tickets gelöst werden müssten. Der örtliche Chirurg hat mich außerdem vor den anderen Gefahren einer langen Flugreise gewarnt. Er hält es für möglich, dass sich im gebrochenen Bein eine Embolie bildet oder dass es im schlimmsten Falle abstirbt. Und das ist vielleicht noch nicht einmal alles.
Aber ich will nicht klagen! Mach dir nur ja keine Sorgen um uns, wir beißen die Zähne zusammen und versuchen unser Bestes. Jetzt beabsichtigen wir, in ein billigeres Quartier umzuziehen. Wir wünschen dir und deinen Geschäften viel Erfolg und werden versuchen, dich über unsere kleinen Wehwehchen auf dem Laufenden zu halten. Dein lieber Onkel Ragnar.«
29
Ragnar Lundmarks betrügerische Botschaft schockierte und ärgerte die Nichte. Die verflixten Kerle hatten sich mal wieder in Schwierigkeiten gebracht, jetzt hockten sie da am Ende der Welt und weinten um Hilfe. Sie hätte die beiden Halunken nie allein so weit weg fahren lassen dürfen. Ein finnischer Mann braucht auf seinen Reisen die Frau und Mutter, die sich um alles kümmert und die Verstand hat. Besorgt schickte Lena Geld nach Tahiti, damit die vom Schicksal gebeutelten aufständischen Guerillaführer sich gesund pflegen lassen konnten.
In Finnland fiel Schneeregen, aber in der Südsee ging der Frühling in den heißen Sommer über, in dem nur der Wind, der vom Ozean her wehte, Kühlung spendete. Die beiden Vagabunden, denen nichts fehlte, nicht mal mehr Geld, hatten es so gut wie nie zuvor. Hermanni sehnte sich zwar nach seiner Verlobten, manchmal sogar sehr, aber er beruhigte sich, wenn Ragnar ihn an die alltägliche Seite der Ehe erinnerte. In dem bald beginnenden Bündnis stünde Hermanni eine bis ans Ende seines Lebens dauernde gemeinsame Wegstrecke mit dieser zielstrebigen Frau bevor. Mindestens zwanzig Jahre Liebe wollten abgearbeitet sein. Dieser Gedanke kühlte die sehnsüchtigen Gefühle so weit herunter, dass sich der Bräutigam wieder auf Segeln, Golf, Kaninchenjagd und Polo konzentrieren konnte. In der letztgenannten Disziplin schlug allerdings Ragnar als Oberst, der er war, stets sämtliche Gegner. In dieser Hinsicht war es ein Glück, dass sein linker Unterschenkel nicht gebrochen war. Ein Einbeiniger spielt kein Polo.
Diese glückseligen Zeiten hätten womöglich fortgedauert, hätte nicht Ragnar Lundmark in seiner Gier der Nichte vorgelogen, dass die
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