Vom Kämpfen und vom Schreiben
Meine Kinder gehen aufs Gymnasium. Ich bin an dieser Schule bekannt, weil ich von dort aus schon oft für die Tageszeitung berichtet habe. Jubiläen, Abi-Feiern, Porträt des neuen Schulleiters, Ferienspiele, was so anfiel. Also biete ich der Schule ein Projekt an. Sie sagen sofort zu.
Nun gehe ich jeden Dienstag in die Quinta von Herrn Paulsen, lese im Deutschunterricht einmal in der Woche eine meiner Geschichten vor und schaue, wie die Kinder reagieren. Sie sind etwa zwölf Jahre alt und strenge Lektoren. Aber wir verstehen uns prima. Die Kinder lernen, wie ein Buch entsteht: von der Idee in meinem Kopf über die ersten Entwürfe bis hin zum Manuskript. Sie arbeiten mit meinen Geschichten im Deutschunterricht: Interpretation, Nacherzählung, Biografie. Im Kunstunterricht illustrieren sie die Geschichten. Ich überrede Walter Dauer zu einem Vortrag in der Klasse. Ich kenne ihn nicht persönlich, nur vom Telefon, und er hat eine angenehme Stimme.
Wir sind am Haupteingang des Gymnasiums verabredet.
Ich sehe ihn schon von Weitem. Walter Dauer ist groß und dick. Seine ausgebeulte Kordhose ist voller Flecken, der verfilzte Norwegerpullover spannt über dem Bauch. Ich schüttele mich beim Blick auf senffarbene Frotteesocken in seinen offenen Sandalen. Das schulterlange graublonde Haar ist ungekämmt. Die Gläser der Brille schimmern schlierig und in seinem struppigen Walross-Bart klebt Eigelb.
Walter Dauer klemmt die filterlose Zigarette in den Mundwinkel, als er mir die Hand schüttelt. Seine Fingernägel sind lang, sie ragen dick und dunkelgrau fast einen halben Zentimeter über die Fingerkuppen. Als er lächelt, sehe ich Zähne, die so gelb sind wie die eines alten Gauls. Die Essensreste in den Zwischenräumen könnten Brot oder Pizza sein. Automatisch wische ich mir meine Hand, die er geschüttelt hat, an der Hose ab. Der Typ riecht ungewaschen. Nein. Er riecht nicht, er stinkt. und ich habe bei diesem Menschen einen Vertrag unterschrieben. Das kann ja nichts werden. Kann man sich auf jemanden verlassen, der mit sich selbst so nachlässig ist? So kann man doch nicht herumlaufen. Oder bin ich intolerant? Ist das künstlerische Freiheit oder verlegerischer Eigensinn, intellektuelle Schlamperei? Wie spießig ich neben ihm wirke, in meiner Jeans, dem Blazer und den Ballerinas. Ich kann ihn gar nicht angucken. Er sieht aus wie ein Penner, nicht wie ein Verleger.
Wir müssen in ein paar Minuten in der Quinta sein, ich reiße mich zusammen und versuche, mir den Ekel nicht anmerken zu lassen. Der Mann passt jedenfalls nicht zu der Stimme vom Telefon.
Walter Dauer erklärt den Kindern seine Arbeit, von der Auswahl der Inhalte über Lektorat, Satz, Druck, Verpackung bis hin zum Vertrieb. Er macht das wirklich gut, den Dreck und seinen Gestank scheinen die Kinder nicht zu bemerken. Sie sind engagiert und interessiert, und das Manuskript ist nun nicht mehr mein Buch, es ist unseres.
Die Illustrationen sind sehr gut gelungen, und die schönste wählen wir gemeinsam als Cover aus: eine Collage aus den Protagonisten der Geschichten, bunte Figuren auf blauem Grund.
Die Tageszeitungen berichten nun fast jeden Montag ganzseitig über das Projekt. Die Kollegen meiner Redaktion und die der Konkurrenz begleiten mich in die Klasse. Sie fotografieren die Kinder und mich beim Lesen, Vorlesen, Diskutieren und Zeichnen, drucken Auszüge der Geschichten und interviewen die Kinder und den Lehrer zu unserem Projekt. Die ganze Stadt kann den Fortschritt des Buches in der Zeitung verfolgen.
Im Ort gibt es ein Theater. Durch meine Arbeit bei der Zeitung kenne ich den Direktor. Ich kann ihn von einer Idee begeistern: Ich organisiere eine zweistündige Leseshow. Das Theater stellt die Räume, die Technik, einen Moderator und einen Jongleur und organisiert den Kartenverkauf.
Ich kenne auch die Leiterin eines großen Kinderchors. Sie übt mit dreißig Kindern fetzige Lieder ein. Dazu bitte ich eine in der Gegend beliebte und bekannte Laienspielgruppe: Zehn Leute machen mit, suchen sich Figuren aus meinen Geschichten aus, schlüpfen in deren Rollen, nähen sich selbst die Kostüme dafür, entwerfen Masken, besorgen sich Requisiten.
Ich schreibe einen minutiösen Ablauf mit Regieanweisungen, übe die Texte, die ich vorlesen will, arbeite täglich bei der Zeitung, kümmere mich um meine Familie, feile an meinen Geschichten, bin überall und nirgends und kann nicht mehr schlafen.
Mein Lampenfieber ist unbeschreiblich, Schweißausbrüche,
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