Vom Kämpfen und vom Schreiben
Herzrasen, Durchfall und unendliche Nächte ohne Schlaf oder mit schrecklichen Träumen zehren an meiner Kraft.
Ich träume davon, dass ich auf der riesigen Theaterbühne stehe und keinen Ton sagen kann, dass ich stottere, mich verhaspele, vor Aufregung umfalle. Einmal träume ich, dass niemand kommt, und wir vor einem stillen, leeren Theater stehen, ein anderes Mal ist es zwar ausverkauft, aber die Kinder und die Schauspieler sind einfach nicht gekommen und ich stehe ganz alleine da, und in der dritten Traumvariante ist es voll, alle sind da, alle geben ihr Bestes, aber am Schluss ist Totenstille und niemand klatscht.
Zufällig gerate ich an das Buch »Die Macht Ihres Unterbewusstseins« von Dr. Joseph Murphy. Eigentlich glaube ich nur an das, was ich sehe und was ich selbst tun kann, und ich verlasse mich am liebsten auf mich selbst. Aber was ich von Murphy lese, ist für mich neu und haut mich um. Vielleicht bin ich erschöpft genug, um solche Botschaften aufnehmen zu können. Die Ausgabe meines Exemplars ist von 1962, aber die Inhalte kommen mir superaktuell vor.
Ich verstehe den Autor so: Wenn man sich etwas wünscht, soll man sich alle Einzelheiten dieses Wunsches immer wieder bis ins kleinste Detail ausmalen. Das Unterbewusstsein würde diese Visionen dann als Realität begreifen und uns so steuern, dass wir alles tun, um unsere Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Wenn das stimmt, dann kann ich alles erreichen – und das will ich einfach glauben.
Verlieren kann ich jedenfalls nichts, also vollziehe ich nun jeden Tag ein Ritual: Wenn ich im Bett liege und das Licht aus ist, bin ich in Gedanken im Theater. Schritt für Schritt nähere ich mich der Bühne, nehme Stufe für Stufe der Treppe, suche die Mitte der berühmt-berüchtigten Bretter und positioniere mich dort. Ich stelle mir vor, wie sich das Licht der Scheinwerfer auf meinem Gesicht anfühlt, höre das surrende Schleifen, wenn der Vorhang sich hebt, rieche das Holz der Bühne, die Farbe der Kulisse, höre die bunten Kleider der Kinder rascheln, wenn es rundum leise ist. Ich schaue in den Saal vor mir, sehe freundliche Gesichter, klatschende Hände, fröhliches Lachen. Ich höre die Kinder singen, sehe mich lesen und genieße immer wieder begeisterten Applaus. Ich stelle mir vor, dass sich der Direktor des Theaters am Ende bei mir bedankt und mir Blumen schenkt. Ich fühle die Stängel der feuchten Gerbera und den kräftigen Händedruck des Direktors. Im Foyer sehe ich mich selbst meine Bücher signieren und die Leute vor meinem Tisch Schlange stehen. Jeden Abend, in allen Einzelheiten, erlebe ich diese Premiere in meinen Träumen. Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, habe ich Bauchweh vor Angst, dass mein Unterbewusstsein und damit meine Angst vor dem Versagen mich ins Verderben steuern.
Und dann ist es soweit. Die Realität ist da. Im Juni 2000, nur wenige Wochen nach Erscheinen des Ratgebers, stelle ich schon das zweite Buch vor. Was für ein Tempo! Ich bin stolz auf mich: Dreihundertfünfzig zahlende Gäste sind zur Buchpremiere gekommen.
Mein jüngerer Sohn, er ist jetzt zehn, nimmt meine Hand fest in seine kleine Hand, bevor es losgeht. Er achtet darauf, dass meine Frisur richtig sitzt, kontrolliert, ob Wimperntusche und Lippenstift nicht verschmiert sind, hält die Lesebrille parat, besorgt mir ein Glas Wasser. Ohne Kohlensäure, damit ich beim Lesen nicht aufstoßen muss. Daran hätte ich gar nicht gedacht.
Mein älterer Sohn liest die erste Geschichte vor dem noch geschlossenen roten Samtvorhang. Er macht das ohne Versprecher, mit toller Betonung und anscheinend ohne Lampenfieber. Wie ich es liebe, dass die Menschen, die in meinem Leben am wichtigsten sind, dieses Erlebnis mit mir teilen.
Hinter dem Vorhang sitze ich nun in einem breiten Lehnstuhl aus burgunderrotem Samt und halte mit bebenden Händen einen Schnellhefter fest. Ich habe ihn mit goldener Folie beklebt. Um mich herum sitzen die bunt gekleideten Kinder vom Chor und dreißig Kinder aus »meiner« Quinta. Alle sind aufgeregt, die Augen glänzen, die Wangen sind rot, Füße scharren, Stimmchen räuspern sich.
Die Wärme der Scheinwerfer ist mir vertraut, den Geruch der Bühne kenne ich aus meinen Halbträumen und das Rascheln der bunten Kleider der Kinder habe ich nachts in meiner Vorstellung schon oft erlebt.
Während sich der Vorhang langsam hebt, beginne ich zu lesen. Es ist ganz still im Theater. Nur meine Stimme klingt, füllt den riesigen Raum aus, und wegen des
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