Vom Kämpfen und vom Schreiben
Mikrofons ist sie mir ganz fremd. Wenn ich aufschaue, kann ich niemanden sehen, vor mir im Zuschauerraum ist alles dunkel. Es ist ein komisches Gefühl, in die Schwärze zu sprechen, deswegen suche ich zu den Kindern auf der Bühne Blickkontakt. Als die erste Geschichte zu Ende ist, gibt es tosenden Beifall, und ich weiß nicht, was ich machen soll und wo ich hinschauen kann.
Die Kinder stehen auf und singen, sie sind fröhlich und voller Kraft, wie in meinen Träumen, ganz genau so. Der Moderator erzählt etwas, der Jongleur macht Kunststücke, zaubert rote Bälle aus seinem Ärmel, sieben, acht, zehn Stück, lässt sie alle gleichzeitig in der Luft tanzen. Großer Beifall, ich lese wieder eine Geschichte. Währenddessen kommen die Schauspieler der Laienspielgruppe durch einen Seiteneingang herein und wandeln wie in Zeitlupe durchs Publikum. Sie sehen wirklich so aus wie die Figuren in meinen Märchen, die Zuschauer sagen »ah« und »oh« und klatschen zwischendurch.
Der Applaus macht mir Gänsehaut. Ich stehe mit den Kindern auf der großen Bühne und verbeuge mich und muss weinen. Ich bin glücklich.
Nachher verkauft Walter Dauer das Buch im Foyer. Er trägt auch an diesem Tag ein verwaschenes, fleckiges Sweatshirt.
Auf der Rückseite des Covers ist ein Gruppenfoto, auf dem alle Kinder drauf sind, darunter stehen ihre Namen. Es ist unser gemeinsames Buch.
Ich signiere, lächle, lache, schreibe Widmungen, spontane Sätze, habe sicher Fieber, so high bin ich. Es ist so, wie ich es mir abends vor dem Einschlafen ausgemalt habe. Aber ich werde nie erfahren, wie viele Bücher an diesem Tag verkauft werden.
Die Zeitungen berichten ganzseitig über die Leseshow. Jetzt kennt mich die ganze Stadt, denke ich. Indes habe ich mir dieses »Bekanntsein« anders vorgestellt. Nicht so unspektakulär. Bekannt zu sein bewirkt gar nichts. Nur ein paar Augenblicke lang kribbelt es im Bauch, wenn ich denke: Ich habe zwei Bücher geschrieben!
Und da ich für keines der beiden einen Pfennig dazugezahlt habe, beantrage ich erneut die Aufnahme in den Kreis der professionellen Berufsschriftsteller VS. Und werde angenommen. Ich bin so stolz. Der graue Mitgliedsausweis scheint mir ein Gütesiegel zu sein, Beweis dafür, dass ich jetzt eine ernst zu nehmende Schriftstellerin bin. Jede Mail, jeden Brief, jede Visitenkarte versehe ich mit dem Hinweis: »Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller«.
In der Stadt grüße ich jeden, der irgendwie guckt. Kann ja sein, dass er oder sie bei der Premiere dabei waren. Einmal sagt jemand: »Ich habe Ihr Buch zu Hause!«
Ich freue mich und frage: »Und? Wie hat es Ihnen gefallen?«
»Äh. Also, gelesen hab ich es jetzt nicht.«
In der Woche nach der Leseshow ziehen wir um. In der alten Wohnung können wir die Miete nicht mehr bezahlen und müssen uns etwas Kleineres, Billigeres am Stadtrand suchen. Der Vermieter, bei dem wir mit zwei Monatsmieten im Rückstand sind, versteht die Welt nicht mehr. Die Frau, die in den Lokalzeitungen als Bestsellerautorin gefeiert wird, die Frau, die Bücher schreibt, das Theater füllt und sogar im Fernsehen war, kann ihre Miete nicht bezahlen?
Ich kann ihm erklären, dass ich Alleinverdiener bin, dass wir von unserem kargen Budget viel für die Werbung ausgeben, damit meine Bücher bekannt gemacht werden können, dass ich bei dem einen Verlag Schulden habe und dass die Buchverkäufe mir nur ein paar Cent pro Exemplar bringen. Dass ich an den Büchern im WD-Verlag erst mal gar nichts verdiene, glaubt er mir nicht, ich sehe es ihm an. Ich verspreche ihm, dass ich mich sofort melden und die ausstehenden Mieten bezahlen werde, wenn es uns besser geht.
Wir schaffen unseren Vier-Personen-Haushalt in den Sommerferien im kleinen, alten Citroën von einer Wohnung in die andere. Fast alle Freunde und Bekannten sind im Urlaub, niemand kann uns helfen. Aber Hardy, die Jungs und ich, wir schaffen das.
Es gibt unterdessen keine Pause im Schriftstellerjob, und wir schreiben noch während der Ferien an alle Schulen der Region und bieten aus dem Kinderbuch Lesungen für Schulklassen an. Ich bekomme acht Zusagen.
Jede Schule bestellt zwanzig bis dreißig Exemplare. Nach meiner Rechnung müssten die fünfhundert Bücher der Erstauflage bald verkauft sein, aber Walter Dauer sagt, so viele seien es noch lange nicht.
Eines Tages ruft mich eine Frau zu Hause an und beschwert sich darüber, dass in ihrem Geschichtenbuch sieben Seiten fehlen. Ich bin entsetzt und frage beim
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