Vom Kriege
etwas verändert, denn in dem kultivierten Europa ist man niemals so gestellt, daß es nicht rechts und links Wege gäbe, die an uns vorbeiführten. Offenbar könnte in diesem Fall der Verteidiger seinen Gegner nicht in einer Stellung erwarten, wenigstens nicht mit der Absicht, dort eine Schlacht zu liefern.
Ehe wir aber davon reden, welche Mittel in diesem Fall dem Verteidiger verbleiben, müssen wir doch erst die Natur eines solchen Falles und die Wahrscheinlichkeit seines Vorkommens näher in Betracht ziehen.
Natürlich gibt es bei jedem Staat und auch so bei jedem Kriegstheater, wovon wir vorderhand allein zu reden haben, Gegenstände und Punkte, auf welche ein Angriff vorzugsweise wirksam sein wird. Wir finden es am angemessensten, darüber beim Angriff bestimmter und ausführlicher zu reden. Hier wollen wir nur dabei stehenbleiben, daß, wenn der vorteilhafteste Gegenstand und Punkt des Angriffs für den Angreifenden ein Bestimmungsgrund für die Richtung seines Stoßes wird, dieser Bestimmungsgrund auch auf den Verteidiger zurückwirken und ihn in den Fällen, wo er nichts von den Absichten des Feindes weiß, leiten muß. Nähme der Angreifende diese beste Richtung nicht, so würde er sich eines Teils seiner natürlichen Vorteile begeben. Wir sehen, daß, wenn der Verteidiger auf dieser Richtung ist, das Mittel, ihm auszuweichen und vorbeizugehen, nicht umsonst zu haben ist, sondern ein Opfer kostet. Hieraus folgt also, daß von der einen Seite die Gefahr des Verteidigers, seines Gegners Richtung zu verfehlen, und von der andern die Fähigkeit des Angreifenden, seinem Gegner vorbeizugehen, beide nicht so groß sind, wie es auf den ersten Blick scheint, weil [486] ein bestimmter, meistens überwiegender Grund für die eine oder andere Richtung schon vorhanden ist, und daß folglich der Verteidiger mit seinen an den Ort gebundenen Einrichtungen in der Mehrheit der Fälle den Kern der feindlichen Macht nicht verfehlen wird. Mit andern Worten: hat der Verteidiger sich richtig gestellt, so darf er meistens sicher sein, daß der Gegner ihn aufsuchen wird.
Aber hiermit soll und kann die Möglichkeit nicht geleugnet werden, daß der Verteidiger mit seinen Anstalten den Angreifenden irgendeinmal nicht treffe, und es entsteht also die Frage, was er dann tun soll und wieviel ihm von den eigentlichen Vorteilen seiner Lage noch übrigbleiben werde.
Fragen wir uns, welche Wege überhaupt einem Verteidiger übrigbleiben, dem der Angreifende vorbeigeht, so sind es folgende:
1. Seine Macht von Hause aus teilen, um den Gegner mit einem Teil gewiß zu treffen und dann mit dem übrigen zu Hilfe zu eilen.
2. Eine Stellung mit der vereinigten Macht zu nehmen und sich, im Fall der Gegner vorbeigeht, schnell zur Seite vorzuschieben. In den meisten Fällen wird ein solches Vorschieben nicht mehr genau seitwärts geschehen können, sondern die neue Stellung muß etwas weiter rückwärts genommen werden.
3. Den Gegner mit vereinigter Macht von der Seite anzufallen.
4. Auf seine Verbindungslinien zu wirken.
5. Durch einen Gegenangriff seines Kriegstheaters genau das zu tun, was der Gegner tut, indem er uns vorbeigeht.
Wir führen dies letztere Mittel hier an, weil man sich den Fall denken kann, wo es wirksam wäre; allein da es im Grunde der Absicht der Verteidigung, d. h. den Gründen, warum diese gewählt worden ist, widerspricht, so kann es nur als eine Abnormität betrachtet werden, die nur große Fehler des Gegners oder andere Eigentümlichkeiten des individuellen Falls herbeiführen können.
Das Wirken auf die feindliche Verbindungslinie setzt eine Überlegenheit der unsrigen voraus, und diese ist allerdings eine der Grundbedingungen einer guten Verteidigungsstellung. Aber wenn darum diese Wirkung dem Verteidiger auch stets einen gewissen Vorteil versprechen sollte, so ist sie doch bei der Verteidigung eines bloßen Kriegstheaters selten geeignet, die Entscheidung zu geben, welche wir als Zweck des Feldzuges vorausgesetzt haben.
Die Dimensionen in einem einzelnen Kriegstheater sind gewöhnlich nicht so groß, daß die Verbindungslinien eine große Empfindlichkeit bekämen, und selbst wenn sie diese haben, so ist die Zeit, welche der Gegner zur Ausführung seines Schlages braucht, gewöhnlich zu kurz, als daß dieser bei der langsamen Wirksamkeit jenes Mittels noch dadurch gehemmt werden könnte.
[487] Es wird also dieses Mittel gegen einen zur Entscheidung entschlossenen Gegner, sowie auch dann, wenn wir selbst diese
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