Vom Kriege
fehlen, so liegt es teils darin, daß die Verteidiger selten den Mut gehabt haben, in einer solchen Stellung auszuharren, sondern sich entweder geteilt oder dem Angreifenden durch Quer- und Diagonalmärsche noch eiligst vorgeschoben haben, oder eben darin, daß kein Angreifender einem Verteidiger unter solchen Umständen vorbeizugehen wagt und daß gewöhnlich die Bewegung desselben dadurch in Stillstand gerät.
Der Verteidiger ist also in diesem Fall zu einer Angriffsschlacht gezwungen; die weiteren Vorteile des Abwartens, einer starken Stellung, guter Verschanzungen usw. muß er entbehren; die Lage, in welcher er den vorrückenden Feind findet, kann ihm in der Allgemeinheit der Fälle diese Vorteile nicht ganz ersetzen; denn eben um ihnen auszuweichen, hat der Angreifende sich dieser Lage ausgesetzt; aber sie bietet ihm immer einen gewissen Ersatz, und die Theorie ist also hier nicht etwa in dem Fall eine Größe, mit einem Male aus der Rechnung verschwinden, das pro et contra sich gegenseitig verschlingen zu sehen, wie es sooft geschieht, wenn kritische Geschichtschreiber ein fragmentarisches Stück Theorie einlegen.
Aber man glaube ja nicht, daß wir es hier mit logischen Spitzfindigkeiten zu tun haben, vielmehr erscheint dieser Gegenstand, je mehr man ihn praktisch betrachtet, als ein das ganze Verteidigungswesen umfassender, überall durchgreifender und dasselbe regelnder Gedanke.
[489] Nur wenn der Verteidiger entschlossen ist, seinen Gegner, sobald er ihm vorbeigeht, mit aller Macht anzufallen, kann er den beiden Abgründen sicher ausweichen, an welchen die Verteidigung so nahe hinführt; nämlich einer geteilten Aufstellung und einem eiligen Vorschieben. In beiden nimmt er das Gesetz des Angreifenden an; in beiden behilft er sich mit Maßregeln der höchsten Notdurft und gefährlichsten Eile, und überall, wo ein entschlossener, nach Sieg und Entscheidung dürstender Gegner auf ein solches Verteidigungssystem gestoßen ist, hat er es zertrümmert. Hat aber der Verteidiger seine Macht zum gemeinschaftlichen Schlagen auf dem rechten Punkt versammelt, ist er entschlossen, mit dieser Macht im schlimmsten Fall seinen Gegner von der Seite anzufallen, so ist und bleibt er im Recht und gestützt auf alle Vorteile, die ihm die Verteidigung in seiner Lage darbieten kann. Gute Vorbereitung, Ruhe, Sicherheit, Einheit und Einfachheit werden der Charakter seines Handelns sein.
Wir können nicht umhin, hier eines großen geschichtlichen Ereignisses zu gedenken, welches von den hier entwickelten Begriffen nahe berührt wird, hauptsächlich um eine falsche Bezugnahme darauf zu verhüten. Als im Oktober 1806 das preußische Heer in Thüringen das französische unter Bonaparte erwartete, befand sich das erstere zwischen den beiden Hauptstraßen, auf welchen das letztere vordringen konnte, nämlich der über Erfurt und der über Hof auf Leipzig und Berlin. Die frühere Absicht, gerade über den Thüringerwald nach Franken einzubrechen, und später, als diese Absicht aufgegeben war, die Ungewißheit, auf welcher der beiden Straßen die Franzosen kommen würden, hatte diese Zwischenstellung veranlaßt. Als eine solche hätte sie also zu der Maßregel des eiligen Vorschiebens führen müssen.
Dies war auch die Idee, im Fall der Feind über Erfurt gekommen wäre, denn dahin waren die Wege vollkommen zugänglich; dagegen war an ein Vorschieben auf die Straße von Hof nicht zu denken, teils, weil man von dieser Straße zwei bis drei Märsche entfernt war, teils, weil der tiefe Einschnitt der Saale dazwischenlag; auch war das nie die Absicht des Herzogs von Braunschweig gewesen, und es war keine Art von Vorbereitung dazu getroffen. Dagegen war es immer die Absicht des Fürsten Hohenlohe, d. h. des Obersten Massenbach, der den Herzog in diese Idee mit Gewalt hineinziehen wollte. Noch weniger konnte davon die Rede sein, aus der auf dem linken Saaleufer genommenen Aufstellung zu einer Angriffsschlacht auf den vorrückenden Bonaparte überzugehen, d. h. zu einem solchen Seitenanfall, wie wir ihn oben angegeben haben; denn war die Saale ein Bedenken, um sich dem Feinde im letzten Augenblick noch vorzulegen, so mußte sie ein noch viel größeres sein, um in dem Augenblick zu einem Angriff überzugehen, wo er schon im Besitz des jenseitigen Ufers, wenigstens teilweise, sein mußte. Der Herzog beschloß also, hinter der Saale das Weitere abzuwarten, wenn man dem, was in diesem vielköpfigen Hauptquartier und in dieser Zeit der [490]
Weitere Kostenlose Bücher