Vom Kriege
diese Vorstellung von beiden kriegführenden Teilen gedacht werden muß, so würde daraus folgen, daß es im kriegerischen Akt keinen Stillstand geben und nicht eher Ruhe eintreten könne, bis einer der beiden Teile wirklich niedergeworfen sei.
In dem Kapitel von dem Stillstand im kriegerischen Akt haben wir gezeigt, wie das bloße Prinzip der Feindschaft auf den Träger desselben, den Menschen, und alle Umstände angewendet, aus denen es den Krieg zusammensetzt, aus inneren Gründen der Maschine einen Aufenthalt und eine Ermäßigung erleidet.
Aber diese Modifikation ist lange nicht hinreichend, um uns von dem ursprünglichen Begriff des Krieges zu der konkreten Gestalt desselben, wie wir sie fast überall finden, überzuführen. Die meisten Kriege erscheinen nur wie eine gegenseitige Entrüstung, wobei jeder zu den Waffen greift, [578] um sich selbst zu schützen und dem andern Furcht einzuflößen, und - gelegentlich ihm einen Streich beizubringen. Es sind also nicht zwei sich einander zerstörende Elemente, die zusammengebracht sind, sondern es sind
Spannungen noch getrennter Elemente, die sich in einzelnen kleinen Schlägen entladen. Welches ist nun aber die nicht leitende Scheidewand, die das totale Entladen verhindert? Warum geschieht der philosophischen Vorstellungsweise nicht Genüge? Jene Scheidewand liegt in der großen Zahl von Dingen, Kräften, Verhältnissen, die der Krieg im Staatsleben berührt, und durch deren unzählbare Windungen sich die logische Konsequenz nicht wie an dem einfachen Faden von ein paar Schlüssen fortführen läßt; in diesen Windungen bleibt sie stecken, und der Mensch, der gewohnt ist, im großen und kleinen mehr nach einzelnen vorherrschenden Vorstellungen und Gefühlen, als nach strenger logischer Folge zu handeln, wird sich hier seiner Unklarheit, Halbheit und Inkonsequenz kaum bewußt.
Hätte aber auch die Intelligenz, von welcher der Krieg ausgeht, wirklich alle diese Verhältnisse durchlaufen können, ohne ihr Ziel einen Augenblick zu verlieren, so würden alle übrigen Intelligenzen im Staate, welche dabei in Betrachtung kommen, nicht eben das können und also ein Widerstreben entstehen und mithin eine Kraft nötig sein, die Inertie der ganzen Masse zu überwinden, und diese Kraft wird meistens unzureichend sein.
Diese Inkonsequenz findet bei dem einen der beiden Teile statt, oder bei dem andern, oder bei beiden, und wird so die Ursache, daß der Krieg zu etwas ganz anderem wird, als er dem Begriff nach sein sollte, zu einem Halbdinge, zu einem Wesen ohne inneren Zusammenhang.
So finden wir ihn fast überall, und man könnte zweifeln, daß unsere Vorstellung von dem ihm absolut zukommenden Wesen einige Realität hätte, wenn wir nicht gerade in unseren Tagen den wirklichen Krieg in dieser absoluten Vollkommenheit hätten auftreten sehen. Nach einer kurzen Einleitung, die die französische Revolution gemacht hat, hat ihn der rücksichtslose Bonaparte schnell auf diesen Punkt gebracht. Unter ihm ist er rastlos vorgeschritten, bis der Gegner niederlag; und fast ebenso rastlos sind die Rückschläge erfolgt. Ist es nicht natürlich und notwendig, daß uns diese Erscheinung auf den ursprünglichen Begriff des Krieges mit allen strengen Folgerungen zurückführt?
Sollen wir nun dabei stehenbleiben und alle Kriege, wie sehr sie sich auch davon entfernen, danach beurteilen? Alle Forderungen der Theorie daraus ableiten?
Wir müssen uns jetzt darin entscheiden, denn wir können kein gescheites Wort vom Kriegsplan sagen, ohne bei uns selbst ausgemacht zu haben, ob der Krieg nur so sein soll oder noch anders sein kann.
Wenn wir uns zu dem ersteren entschließen, wird unsere Theorie sich überall dem Notwendigen mehr nähern, mehr eine klare abgemachte Sache sein. Aber was sollen wir dann zu allen Kriegen sagen, welche seit Alexander [579] und einigen Feldzügen der Römer bis auf Bonaparte geführt worden sind? Wir mußten sie in Bausch und Bogen verwerfen und konnten es doch vielleicht nicht, ohne uns unserer Anmaßung zu schämen. Was aber schlimm ist, wir mußten uns sagen, daß im nächsten Jahrzehnt vielleicht wieder ein Krieg der Art da sein wird, unserer Theorie zum Trotz, und daß diese Theorie mit einer starken Logik doch sehr ohnmächtig bleibt gegen die Gewalt der Umstände. Wir werden uns also dazu verstehen müssen, den Krieg, wie er sein soll, nicht aus seinem bloßen Begriff zu konstruieren, sondern allem Fremdartigen, was sich darin einmischt und daransetzt,
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