Vom Kriege
bedingte Kriegführung muß doch etwas noch Allgemeineres in sich tragen, mit welchem vor allem die Theorie es zu tun haben wird.
Die letzte Zeit, wo der Krieg seine absolute Gewalt erreicht hatte, hat des allgemein Gültigen und Notwendigen am meisten. Aber es ist ebenso unwahrscheinlich, daß die Kriege fortan alle diesen großartigen Charakter haben werden, als daß sie je die weiten Schranken, welche ihnen geöffnet worden sind, ganz wieder schließen können. Man würde also mit einer Theorie, die nur in diesem absoluten Kriege verweilte, alle Fälle, wo fremdartige Einflüsse seine Natur verändern, entweder ausschließen oder als Fehler verdammen. Dies kann nicht der Zweck der Theorie sein, die die Lehre eines Krieges, nicht unter idealen, sondern unter wirklichen Verhältnissen sein soll. Die Theorie wird also, indem sie ihren prüfenden, scheidenden und ordnenden Blick auf die Gegenstände wirft, immer die Verschiedenartigkeit der Verhältnisse im Auge haben, von welchen der Krieg ausgehen kann, und sie wird also die großen Lineamente desselben so angeben, daß das Bedürfnis der Zeit und des Augenblicks darin seines Platz finde.
Hiernach müssen wir sagen, daß das Ziel, welches sich der Kriegsunternehmer setzt, die Mittel, welche er aufbietet, sich nach den ganz individuellen Zügen seiner Lage richten, daß sie aber eben den Charakter der Zeit und der allgemeinen Verhältnisse an sich tragen werden, endlich, daß sie den allgemeinen Folgerungen, welche aus der Natur des Krieges gezogen werden müssen, unterworfen bleiben.
Viertes Kapitel: Nähere Bestimmungen des kriegerischen Zieles. Niederwerfung des Feindes
Das Ziel des Krieges sollte nach seinem Begriff stets die Niederwerfung des Gegners sein; dies ist die Grundvorstellung, von der wir ausgehen.
Was ist nun diese Niederwerfung? Nicht immer ist die ganze Eroberung des feindlichen Staates dazu nötig. Wäre man im Jahre 1792 nach Paris [594] gekommen, so war, nach aller menschlichen Wahrscheinlichkeit der Krieg mit der Revolutionspartei vorderhand geendigt; es war nicht einmal nötig, ihre Heere vorher zu schlagen, denn diese Heere waren noch nicht als einzige Potenz zu betrachten. Im Jahre 1814 hingegen würde man auch mit Paris nicht alles erreicht haben, sobald Bonaparte noch an der Spitze eines beträchtlichen Heeres geblieben wäre; da aber sein Heer größtenteils aufgerieben war, so entschied auch in den Jahren 1814 und 1815 die Einnahme von Paris alles. Hätte Bonaparte im Jahre 1812 das russische Heer von 120000 Mann, welches auf der Straße von Kaluga stand, vor oder nach der Einnahme von Moskau gehörig zertrümmern können, wie er 1805 das österreichische und 1806 das preußische Heer zertrümmert hat, so würde der Besitz jener Hauptstadt höchstwahrscheinlich den Frieden herbeigeführt haben, obgleich noch ein ungeheurer Landstrich zu erwerben blieb. Im Jahre 1805 entschied die Schlacht von Austerlitz; es war also der Besitz von Wien und zwei Dritteln der österreichischen Staaten nicht hinreichend, den Frieden zu gewinnen; von der andern Seite aber war auch nach jener Schlacht die Integrität von ganz Ungarn nicht hinreichend, ihn zu verhindern. Die Niederlage des russischen Heeres war der letzte Stoß, der erforderlich war; der Kaiser Alexander hatte kein anderes in der Nähe, und so war der Friede eine unzweifelhafte Folge des Sieges. Hätte sich die russische Armee schon an der Donau bei den Österreichern befunden und die Niederlage derselben geteilt, so wäre wahrscheinlich die Eroberung Wiens gar nicht erforderlich gewesen und der Friede schon in Linz geschlossen.
In andern Fällen reicht die vollständige Eroberung des Staates nicht hin, wie im Jahr 1807 in Preußen, wo der Stoß gegen die russische Hilfsmacht in dem zweifelhaften Siege von Eylau nicht entschieden genug gewesen war, und der unzweifelhafte Sieg bei Friedland werden mußte, was der Sieg bei Austerlitz ein Jahr vorher gewesen war.
Wir sehen, auch hier läßt sich der Erfolg nicht aus allgemeinen Ursachen bestimmen; die individuellen, die kein Mensch übersieht, der nicht zur Stelle ist, und viele moralische, die nie zur Sprache kommen, selbst die kleinsten Züge und Zufälle, die sich in der Geschichte nur als Anekdoten zeigen, sind oft entscheidend. Was sich die Theorie hier sagen kann, ist folgendes: Es kommt darauf an, die vorherrschenden Verhältnisse beider Staaten im Auge zu haben. Aus ihnen wird sich ein gewisser Schwerpunkt, ein Zentrum der Kraft und
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