Vom Kriege
man die Beschränkung der eigenen fühlte, sah man sich auf ein mäßiges Ziel zurückgewiesen. Vor dem Äußersten geschützt, brauchte man nicht mehr das Äußerste zu wagen. Die Notwendigkeit trieb nicht mehr dazu, es konnte also nur der Mut und Ehrgeiz dazu treiben. [589] Aber diese fanden in den Staatsverhältnissen ein mächtiges Gegengewicht. Selbst die königlichen Feldherren mußten behutsam mit dem Kriegsinstrumente umgehen. Wenn das Heer zertrümmert wurde, so war kein neues zu beschaffen, und außer dem Heere gab es nichts. Dies heischte große Vorsicht bei allen Unternehmungen. Nur wenn sich ein entschiedener Vorteil zu ergeben schien, machte man Gebrauch von der kostbaren Sache; diesen herbeizuführen, war eine Kunst des Feldherrn; solange aber, wie er nicht herbeigeführt war, schwebte man gewissermaßen im absoluten Nichts, es gab keinen Grund zum Handeln, und alle Kräfte, nämlich alle Motive, schienen zu ruhen. Das ursprüngliche Motiv des Aggressors erstarb in Vorsicht und Bedenklichkeit.
So wurde der Krieg, seinem Wesen nach ein wirkliches Spiel, wobei Zeit und Zufall die Karten mischten; seiner Bedeutung nach war er aber nur eine etwas verstärkte Diplomatie, eine kräftigere Art zu unterhandeln, in der Schlachten und Belagerungen die Hauptnoten waren. Sich in einen mäßigen Vorteil zu setzen, um beim Friedensschluß davon Gebrauch zu machen, war das Ziel auch des Ehrgeizigsten.
Diese beschränkte, zusammengeschrumpfte Gestalt des Krieges rührte, wie wir gesagt haben, von der schmalen Unterlage her, worauf er sich stützte. Daß aber ausgezeichnete Feldherren und Könige wie Gustav Adolf, Karl XII. und Friedrich der Große mit ebenso ausgezeichneten Heeren nicht stärker aus der Masse der Totalerscheinungen hervortreten konnten, daß auch sie sich gefallen lassen mußten, in dem allgemeinen Niveau des mittelmäßigen Erfolges zu bleiben, lag in dem politischen Gleichgewicht Europas. Was früher bei der Menge kleiner Staaten das unmittelbare, ganz natürliche Interesse, die Nähe, die Berührung, die verwandtschaftliche Verbindung, die persönliche Bekanntschaft getan hatte, um den einzelnen zu verhindern, schnell groß zu werden, das tat jetzt, wo die Staaten größer und ihre Zentra weiter voneinander entfernt waren, die größere Ausbildung der Geschäfte. Die politischen Interessen, Anziehungen und Abstoßungen hatten sich zu einem sehr verfeinerten System ausgebildet, so daß kein Kanonenschuß in Europa geschehen konnte, ohne daß alle Kabinette ihren Teil daran hatten.
Ein neuer Alexander mußte sich also neben seinem guten Schwerte auch eine gute Feder halten, und doch brachte er es mit seinen Eroberungen seiten weit.
Aber auch Ludwig XIV., obgleich er die Absicht hatte, das europäische Gleichgewicht umzustoßen, und sich am Ende des siebzehnten Jahrhunderts schon auf dem Punkte befand, sich wenig um die allgemeine Feindschaft zu bekümmern, führte den Krieg auf die hergebrachte Weise, denn seine Kriegsmacht war zwar die des größten und reichsten Monarchen, aber ihrer Natur nach wie die der andern.
Plünderungen und Verheerungen des feindlichen Gebietes, welche bei den Tataren, bei den alten Völkern und selbst im Mittelalter eine so große Rolle spielen, waren nicht mehr im Geist der Zeit. Man sah es mit Recht wie eine unnütze Roheit an, die leicht vergolten werden konnte und den [590] feindlichen Untertanen mehr traf als die feindliche Regierung, daher wirkungslos blieb und nur dazu diente, die Völker in ihrem Kulturzustande ewig zurückzuhalten. Der Krieg wurde also nicht bloß seinen Mitteln, sondern auch seinem Ziele nach immer mehr auf das Heer selbst beschränkt. Das Heer mit seinen Festungen und einigen eingerichteten Stellungen machte einen Staat im Staate aus, innerhalb dessen sich das kriegerische Element langsam verzehrte. Ganz Europa freute sich dieser Richtung und hielt sie für eine notwendige Folge des fortschreitenden Geistes. Obgleich hierin ein Irrtum lag, weil das Fortschreiten des Geistes niemals zu einem Widerspruch führen, niemals machen kann, daß aus zweimal zwei fünf wird, wie wir schon gesagt haben und noch in der Folge sagen müssen: so hatte allerdings diese Veränderung eine wohltätige Wirkung für die Völker; nur ist nicht zu verkennen, daß sie den Krieg auch noch mehr zu einem bloßen Geschäft der Regierung machte und dem Interesse des Volkes noch mehr entfremdete. Der Kriegsplan eines Staates bestand in dieser Zeit, wenn er der
Weitere Kostenlose Bücher