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Vom Kriege

Vom Kriege

Titel: Vom Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Clausewitz
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Feldzug, vielleicht noch einen zweiten, darauf verwenden mußten, um es wieder zu nehmen. Auch dieser Angriff mißlang. Friedrich gab nun den Gedanken an jede wirkliche Offensive auf, weil er fühlte, wie sie nur das Mißverhältnis in den Streitkräften vermehrte. Eine zusammengezogene Aufstellung in der Mitte seiner Länder, in Sachsen und Schlesien, eine Benutzung der kurzen Linien, um die Streitkräfte plötzlich auf dem bedrohten Punkte zu vermehren, eine Schlacht, wo sie unvermeidlich wurde, kleine Invasionen, wo sich die Gelegenheit darbot, und demnächst ein ruhiges Abwarten, ein Aufsparen seiner Mittel für bessere Zeiten, war nun sein Kriegsplan im Großen. Nach und nach wurde die Ausführung immer passiver. Da er sah, daß auch die Siege ihm zu viel kosteten, so versuchte er es, mit wenigerem auszukommen; es kam ihm nur auf Zeitgewinn an, nur auf die Erhaltung dessen, was er noch besaß, er wurde mit dem Boden immer ökonomischer und scheute sich nicht, in ein wahrhaftes Kordonsystem überzugehn. Diesen Namen verdienen sowohl die Stellungen des Prinzen Heinrich in Sachsen als die des Königs im schlesischen Gebirge. In seinen Briefen an den Marquis d’Argens sieht man die Ungeduld, mit der er den Winterquartieren entgegensieht, und wie froh er ist, wenn er sie wieder beziehen kann, ohne merklich eingebüßt zu haben.
    Wer Friedrich hierin tadeln und darin nur seines gesunkenen Mut sehen wollte, würde, wie es uns scheint, ein sehr unüberlegtes Urteil fällen.
    Wenn das verschanzte Lager von Bunzelwitz, die Postierungen des Prinzen Heinrich in Sachsen und des Königs im schlesischen Gebirge uns jetzt nicht mehr wie solche Maßnehmungen erscheinen, auf welche man seine letzte Hoffnung setzen kann, weil ein Bonaparte diese taktischen Spinngewebe bald durchstoßen würde, so muß man nicht vergessen, daß die Zeiten sich geändert haben, daß der Krieg ein ganz anderer geworden ist, von andern Kräften belebt, und daß also damals Stellungen wirksam sein konnten, die es nicht mehr sind, daß aber auch der Charakter des Gegners Rücksicht [616] verdient. Gegen die Reichsarmee, gegen Daun und Butterlin konnte der Gebrauch von Mitteln, die Friedrich selbst für nichts gehalten haben würde, die höchste Weisheit sein.
    Der Erfolg hat diese Ansicht gerechtfertigt. Im ruhigen Abwarten hat Friedrich das Ziel erreicht und Schwierigkeiten umgangen, gegen die seine Kraft zerschellt sein würde.
    Das Verhältnis der Streitkräfte, welche die Russen den Franzosen im Jahr 1812 bei Eröffnung des Feldzugs entgegenzustellen hatten, war noch viel ungünstiger, als es für Friedrich dem Großen im Siebenjährigen Kriege gewesen war. Allein die Russen hatten die Aussicht, sich im Laufe des Feldzugs beträchtlich zu verstärken. Bonaparte hatte ganz Europa zu heimlichen Feinden, seine Macht war auf den äußersten Punkt hinausgeschraubt, ein verzehrender Krieg beschäftigte ihn in Spanien, und das weite Rußland erlaubte, durch einen hundert Meilen langen Rückzug, die Schwächung der feindlichen Streitkräfte aufs äußerste zu treiben. Unter diesen großartigen Umständen war nicht allein auf einen starken Rückschlag zu rechnen, wenn das französische Unternehmen nicht gelang (und wie konnte es gelingen, wenn der Kaiser Alexander nicht Friede machte oder seine Untertanen nicht rebellierten?), sondern dieser Rückschlag konnte auch den Untergang des Gegners herbeiführen. Die höchste Weisheit hätte also keinen besseren Kriegsplan angeben können, als derjenige war, welchen die Russen unabsichtlich befolgten.
    Daß man damals nicht so dachte und eine solche Ansicht für eine Extravaganz gehalten haben würde, ist für uns jetzt kein Grund, sie nicht als die richtige aufzustellen. Sollen wir aus der Geschichte lernen, so müssen wir die Dinge, weiche sich wirklich zugetragen haben, doch auch für die Folge als möglich ansehen, und daß die Reihe der großen Begebenheiten, die dem Marsch auf Moskau gefolgt sind, nicht eine Reihe von Zufällen ist, wird jeder einräumen, der auf ein Urteil in solchen Dingen Anspruch machen kann. Wäre es den Russen möglich gewesen, ihre Grenzen notdürftig zu verteidigen, so wäre zwar ein Sinken der französischen Macht und ein Umschwung des Glücks immer wahrscheinlich geblieben, aber er wäre gewiß nicht so gewaltsam und entscheidend eingetreten. Mit Opfern und Gefahren (die freilich für jedes andere Land viel größer, für die meisten unmöglich gewesen wären) hat Rußland diesen

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