Vom Kriege
philosophisch nicht als das allgemeine und letzte Ziel irgendeiner Verteidigung gedacht werden, und es bleibt nichts übrig, als daß diese ihr Ziel in dem Begriff des Abwartens findet, der überhaupt ihr eigentliches Charakteristikon ist. Dieser Begriff schließt eine Veränderung der Umstände, eine Verbesserung der Lage in sich, die also, da, wo sie durch innere Mittel, d. h. durch den Widerstand selbst, gar nicht erreicht werden kann, nur von außen zu erwarten ist. Diese Verbesserung von außen kann nun keine andere sein, als andere politische Verhältnisse; es entstehen entweder für den Verteidiger neue Bündnisse, oder alte, die gegen ihn gerichtet waren, zerfallen.
[614] Dies ist also das Ziel des Verteidigers, im Fall seine Schwäche ihm nicht erlaubt, an irgendeinen bedeutenden Rückstoß zu denken. So ist aber nicht jede Verteidigung nach dem Begriff, welchen wir davon gegeben haben. Nach diesem ist sie die stärkere Form des Krieges, und kann also um dieser Stärke willen auch dann angewendet werden, wenn es auf einen mehr oder weniger starken Rückschlag abgesehen ist.
Diese beiden Fälle muß man von vornherein trennen, weil sie Einfluß auf die Verteidigung haben.
Im ersten Fall sucht der Verteidiger sein Land so lange wie möglich zu besitzen und intakt zu erhalten, weil er dabei die meiste Zeit gewinnt, und Zeit gewinnen der einzige Weg zum Ziele ist. Das positive Ziel, was er meist erreichen kann, was ihm Gelegenheit geben soll, seine Absicht beim Frieden durchzusetzen, kann er noch nicht in seinen Kriegsplan aufnehmen. In dieser strategischen Passivität sind die Vorteile, welche er auf einzelnen Punkten erhalten kann, bloße abgewehrte Streiche; das Übergewicht, welches er auf diesen Punkten gewinnt, führt er auf andere Punkte über, denn gewöhnlich ist da Not an allen Ecken und Orten; hat er dazu keine Gelegenheit, so bleibt ihm oft nur der kleine Gewinn übrig, daß der Feind ihm eine Zeitlang Ruhe lassen wird.
Kleine Offensivunternehmungen, wobei es weniger auf einen bleibenden Besitz als auf einen einstweiligen Vorteil als Spielraum für spätere Einbuße abgesehen ist, Invasionen, Diversionen, Unternehmungen gegen eine einzelne Festung können, wenn der Verteidiger nicht allzu schwach ist, in diesem Verteidigungssystem Platz finden, ohne das Ziel und Wesen desselben zu ändern.
Im zweiten Fall aber, wo der Verteidigung schon eine positive Absicht eingeimpft ist, nimmt sie auch mehr den positiven Charakter an, und zwar um so mehr, je größer der Rückstoß ist, welchen die Verhältnisse zulassen. Mit andern Worten: je mehr die Verteidigung aus freier Wahl entstanden ist, um den ersten Stoß sicher zu führen, um so kühnere Schlingen darf der Verteidiger dem Gegner legen. Das Kühnste und, wenn es gerät, Wirksamste ist der Rückzug ins Innere des Landes; und dieses Mittel ist dann zugleich dasjenige, welches von dem andern System am weitesten entfernt ist.
Man denke nur an die Verschiedenheit der Lage, in welcher sich Friedrich der Große im Siebenjährigen Kriege und Rußland im Jahr 1812 befunden haben.
Als der Krieg anfing, hatte Friedrich durch seine Schlagfertigkeit eine Art Überlegenheit; dies verschaffte ihm den Vorteil, sich Sachsens zu bemächtigen, welches übrigens so sehr ein natürliches Complement seines Kriegstheaters war, daß der Besitz desselben seine Streitkräfte nicht verminderte, sondern vermehrte.
Bei Eröffnung des Feldzugs von 1757 suchte er seines strategischen Angriff fortzusetzen, welches, solange die Russen und Franzosen noch nicht auf dem [615] Kriegstheater von Schlesien, der Mark und Sachsen angekommen waren, nicht unmöglich war. Der Angriff mißlang, er wurde für den übrigen Teil des Feldzugs auf die Verteidigung zurückgeworfen, mußte Böhmen wieder räumen und das eigene Kriegstheater vom Feinde befreien, welches ihm nur gelang, indem er sich mit einer und derselben Armee erst gegen die Österreicher wandte, und diesen Vorteil verdankte er nur der Verteidigung.
Im Jahre 1758, wo seine Feinde den Kreis schon enger um ihn gezogen hatten, und seine Streitkräfte anfingen, in ein sehr ungleiches Verhältnis zu kommen, wollte er noch eine kleine Offensive in Mähren versuchen; er gedachte Olmütz zu nehmen, ehe seine Gegner recht unter den Waffen wären; nicht in der Hoffnung, es zu behalten oder gar von da aus weiter vorzuschreiten, sondern es als ein Außenwerk, eine contre-approche gegen die Österreicher zu benutzen, die dann den übrigen
Weitere Kostenlose Bücher