Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
Seite«, belehrte mich Kurt, bevor er nach dem Haushaltsbuch
griff.
»Das Heft
ist ohne Bedeutung«, sagte ich. »Außer du interessierst dich dafür, wie viele Tonnen
Kartoffeln und Rote Beete ein durchschnittlicher Pole im Jahr verbraucht.«
Zögernd
legte er es weg, griff nach dem Briefumschlag, befühlte ihn, hob ihn gegen das Licht,
wedelte mit ihm vor seiner Nase herum. »Er riecht nach Knoblauch und faulen Kartoffeln,
aber da ist noch etwas …« Er öffnete den Umschlag, steckte seine Nase hinein und
schnupperte. »Ja, höchst interessant. Ich rieche etwas Bekanntes … Womöglich Zwiebeln.
Aha, hier ist sogar ein Brief.«
»Der bringt
nichts Neues. Lauter verliebtes Gelaber. Den Verfasser hätte ich aber liebend gerne
als Co-Autor für meine Liebesgeschichten.«
Kurt überflog
den Brief und fragte: »Und die Fotos? Hast du sie rausgenommen?«
»Nein, die
Fotos waren leider nicht dabei. Du musst mit dem Text Vorlieb nehmen.«
»Eine ungewöhnliche
Liebeserklärung. Und kein Empfänger. Hast du eine Vermutung, Valeska?«
»Ja, doch.
Ich tippe auf eine reife Pfadfinderin, die bei jedem Wetter umherwandert und im
Freien übernachtet. Erst wenn die Temperaturen unter 40 Grad minus sinken, kehrt
sie heim, stöbert in ihren alten Tagebüchern und verschickt heiße Auszüge an ihren
Wanderfreund.«
Er schlug
die Hände zusammen. »Weißt du, wer die Verse verfasst hat? Salomon!«
»Wusste
ich’s doch! Abgeschrieben. Jetzt ist’s genug.« Ich legte das Blatt mit den berühmten
Zeilen zur Seite. »Was ist mit dem Aktenordner?«
Der dicke
Ordner fesselte Kurts Aufmerksamkeit bis zur Schmerzgrenze. Seine Stirnfalten erreichten
vor Anstrengung die Tiefe eines Vulkankraters. Er sprach mit der intensiven Stimme
eines Berichterstatters aus einem Krisengebiet. »Ein Aktenordner. Die Ränder stark
verschlissen. Ergo: Edy hat sich damit sehr oft beschäftigt. Der Inhalt: Notizen,
Fotos. Eine Fotoserie. Eine Statue wird aufgestellt. Lenin oder Stalin, das kann
ich nicht erkennen. Und das Foto?« Er führte die Aufnahme dicht an sein Gesicht
heran. »Interessant. Drei Personen in einer Cafeteria, würde ich sagen.« Kurt kniff
die Augen zusammen. »Der Mann mit der Narbe. Ich bin mir sicher, dass ich ihn irgendwo
schon mal gesehen habe.«
Die Hilfe
eines Detektivs hatte ich mir doch anders vorgestellt. Irgendwie ertragreicher.
»Ja, der Mann ist dir bekannt, Kurt. Das ist Edy als Räuber verkleidet.«
»Und warum
steht hier ›Dieb‹?«
»Das weiß
ich nicht, das Geheimnis hat Edy ins Grab mitgenommen.«
Diese Antwort
überzeugte ihn nicht. »Hmm, eines Tages werde ich es herausfinden, aber vorerst
klären wir den anderen Diebstahl. Hast du den richtigen Schuhkarton mitgenommen?«
»Ja, in
den anderen Kartons waren nur Lebensmittel.«
»Das ist
wirklich interessant.« Kurt warf sich in eine Pose, die man mit viel Fantasie als
tiefes Nachdenken interpretieren konnte.
Als er dann
noch die Augen schloss, gab ich mich geschlagen. »Tja, das war’s also. Das große
Vermächtnis von Edy Cop ist so brisant wie ein Rezept für Erbsenpüree.«
Überraschen
riss Kurt die Augen auf, hob den Finger und sagte bedeutend: »Für uns Erbsenpüree,
Valeska. Für die anderen vielleicht Trüffel. Was hat die Person, die dich zusammengeschlagen
hat, in seiner Wohnung gesucht?«
»Trüffel?«
»Ja. Edy
hat dir doch erzählt, dass noch jemand bereit wäre, für seine Informationen eine
große Summe zu zahlen. Leuchtet es dir nicht ein? Das sind die kostbaren Trüffel.
Und sie müssen erschnüffelt werden.«
In diesem
Moment muss ich ihn ziemlich dumm angestarrt haben, denn er fügte hinzu: »In meinem
Ratgeber für Privatdetektive steht, dass ungewöhnliche Ermittlungsmethoden oft zum
Erfolg führen.«
»Nicht dass
ich an deinem Spürsinn zweifle, Kurt, aber ich fürchte …«
Er unterbrach
mich: »Ein Privatdetektiv kennt keine Furcht. Wir müssen uns eine kluge Taktik überlegen.«
Wir öffneten
zwei weitere Bierflaschen und besprachen die Lage. Mit jedem Schluck Bier wurde
Kurt zuversichtlicher, dass wir den Fall lösen würden.
»Ich hab’s«,
sagte ich plötzlich. »Wir lassen unser Trüffelschwein persönlich an der Kiste schnüffeln.«
»Siehst
du«, jubelte Kurt. »Mein Ratgeber hat also recht. Und was schlägst du vor, wie sollen
wir das Schwein an die Trüffel heranführen?«
Es folgte
eine lange, aufgeregte Diskussion. Die Pensionswirtin lief tänzelnden Schrittes
zwischen Küche und Frühstücksraum hin und
Weitere Kostenlose Bücher