Vom Mensch zum Vampir
und einem luxuriös aussehenden Spazierstock, den er gekonnt von einer Hand, in die andere wirbeln ließ, musterte ihn interessiert.
Er begutachtete den zierlichen und abgemagerten Jungen in seinen verdreckten und zerlumpten Kleidern, in dessen Gesicht sich die Spuren von vertrockneten Tränen und lähmender Ermüdung abzeichneten.
„Sag, mein Junge, wie lautet dein Name?“, fragte ihn der Mann mit einer sanften Stimme, die ihn sogleich in den Bann zog. Während er es sagte, hielt er stets Blickkontakt zu dem Jungen. Eigentlich hatte ihm seine Mutter eingebläut, niemals mit Fremden zu reden. Doch je mehr er sich nun aber dagegen zu wehren versuchte, dem Mann zu antworten, desto größer wurde der innere Drang, der ihn veranlasste, die warnenden Worte seiner Mutter augenblicklich zu vergessen. Aufgeregt befeuchtete er mit der Zunge seine Lippen und schluckte den dicken Kloß herunter, der seine Kehle zuzuschnüren schien und seinen Stimmbändern den Dienst versagte.
„Mein Name ist Ardric Donovan“, erwiderte er zaghaft.
„Und wer bist du?“
„Ich heiße Adam van Argyll“, antwortete der Mann und unterstrich seinen wohlklingenden Namen mit einer würdevollen Verbeugung, die den Jungen nur noch mehr in Staunen versetzte.
„Was für ein vornehmer Name“, flüsterte Ardric beeindruckt.
„Meine Mutter sagt immer, dass Menschen mit solchen Namen viel Geld haben. Sind Sie reich?“, wollte er wissen und sah den Mann mit kindlicher Naivität erwartungsvoll an. Der Fremde schmunzelte, nickte bestätigend und hielt Ardric seine Hand hin, um ihm vom Boden aufzuhelfen. Der Kontrast zwischen dem dunklen Stoff des Capes und der beinahe kalkig weißen Haut des Mannes, ließ den Jungen jedoch irritiert innehalten. Doch sobald Adam wieder den Blickkontakt zu ihm hergestellt hatte, nahm Ardric ohne jedes weitere Zögern seine Hilfe an und ließ sich auf die Beine helfen.
Adam zog ihn mit einem kräftigen Ruck hoch, der ihn keinerlei Mühe zu kosten schien. Ardric hatte dadurch das Gefühl, für einen kurzen Moment zu fliegen. Glucksend vor Freude landete er unbeschadet auf seinen Füßen. Adams imposantes Erscheinungsbild ließ Ardric seinen Hunger und die Besorgnis um seine Mutter vergessen. Doch dem mysteriösen Mann war das dumpfe Knurren in Ardrics Magen nicht entgangen. Er konnte geradezu hören, wie sich die Magensäfte im Inneren seines Leibes überschlugen und nach Nahrung verlangten.
„Ardric, mein Junge, du hast doch bestimmt großen Appetit. Komm doch mit zu mir nach Hause, dort ist es warm und du bekommst etwas zu Essen“, merkte er wie beiläufig an und versuchte bereits den Jungen mit sich zu ziehen. Ardric fühlte sich plötzlich bedrängt, nahm augenblicklich eine misstrauische Haltung ein und rückte von Adam ein Stück ab, näher zur Hauswand hin. Er erinnerte sich wieder an die Worte seiner Mutter. Sie hatte ihn davor gewarnt, dass es Menschen gab, die Kinder wie ihn einfach entführten, um sie wie Sklaven zu halten oder um Schlimmeres mit ihnen anzustellen.
„Nein, ich kann nicht. Ich muss hier bleiben und auf meine Mutter warten!“, entgegnete er ihm entschieden und verschränkte zur Bekräftigung die Arme vor der Brust. Adam wurde langsam wütend, denn er hatte gedacht, er hätte mit einem Kind wie Ardric, der von niederem Stand war, leichtes Spiel. Doch dieser erwies sich als ziemlich resistent gegen seine Anlockversuche. Gleichwohl bewahrte er seine Haltung und ließ sich nichts anmerken, denn noch war das Spiel nicht verloren und er wollte sein auserkorenes Opfer nicht allzu leicht aufgeben. Alles was er brauchte, war ein wenig mehr Geduld und die ungestörte Aufmerksamkeit des Jungen, um ihm endgültig seinen Willen aufzuzwingen.
„Was für außergewöhnlich schöne Augen du doch hast!“, schmeichelte er Ardric.
„Hast du die von deiner Mutter oder von deinem Vater?“ Ardric schüttelte langsam den Kopf.
„Weder noch. Meine Mutter hat schlammfarbene Augen und einen Vater habe ich nicht. Der hat sich eines schönen Tages einfach aus dem Staub gemacht, noch bevor ich geboren war und hat meine Mutter ohne Geld sitzen lassen.
Und selbst wenn ich seine Augen hätte, würde ich sie mir lieber auskratzen, als weiterhin mit den Augen eines Mannes herumzulaufen, der ein Taugenichts ist!“, wiederholte er die Worte seiner Mutter, die sie oft benutzte hatte, wenn sie traurig war. Beim Anblick ihres einzigen Sohnes wurde sie häufig von Schmerz und Kummer ergriffen, da er ein
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