Vom Mondlicht berührt
Wir hatten ausschließlich mit dem Schwert gearbeitet, was anfangs gar nicht so schwierig gewirkt hatte, als wir die verschiedenen Abfolgen in Zeitlupe durchgegangen waren. Doch sobald Gaspard das Tempo gesteigert hatte, war ich zu nichts mehr zu gebrauchen gewesen.
Kämpfen war in meinem Fall definitiv vergleichbar mit Tanzen. Abgesehen davon, dass ich einfach kein Taktgefühl besaß, hatte ich mich auf der Tanzfläche immer irgendwie blöd gefühlt. Das gleiche Gefühl übertrug sich auf die Trainingseinheiten. Meine Unsicherheit machte mich ungeschickt, und weil ich so große Angst davor hatte, wie ein schwacher, wehrloser Anfänger auszusehen, führte diese Angst dazu, dass ich genau so aussah.
Dennoch schienen sich ab der vierten Stunde die Bewegungen allmählich einzuprägen. Es fühlte sich fast so an wie sonst, wenn ich mich am Fluss oder im Museum der Selbsthypnose hingab. Ich machte meinen Kopf völlig frei und plötzlich kamen die Bewegungen wie von selbst. Irgendwie übernahm mein Unterbewusstsein die Steuerung und mein Gehirn war wie ausgeschaltet. Sobald ich nicht mehr darüber nachdachte, was ich gerade machte, klappte es.
Meine ungeschickten Phasen wurden immer kürzer, bis ich bloß noch ein paar Schritte vor und zurück machen musste, bevor sich der Schalter umlegte und ich auf Autopilot lief.
Heute wird wieder so ein Tag im Autopilotmodus , machte ich mir selbst Mut, stieg in meine Jeans und ging mit müden Augen zum Frühstückstisch. Papy saß bereits dort, für die Arbeit herausgeputzt, und las die Morgenzeitung. »Schon so früh auf den Beinen?«, fragte er und ließ die Zeitung sinken, um mir in die Augen zu blicken.
»Aus welchem Grund mein Lehrer darauf besteht, dass das Training ausgerechnet samstags um neun stattfinden muss, verstehe ich nicht so ganz. Aber warten lassen sollte ich ihn trotzdem nicht«, sagte ich, schenkte mir ein Glas Grapefruitsaft ein und schnappte mir ein Croissant.
Als ich (wenngleich zögerlich) meinen Großeltern erzählt hatte, dass Vincent mir Fechtstunden zum Geburtstag geschenkt hatte, waren sie zu meiner großen Verwunderung davon absolut begeistert gewesen. Ich hatte nicht gewusst, wie beliebt dieser Sport in Frankreich war, geschweige denn, dass er aristokratisch belegt war. Mamie und Papy waren nicht überheblich, doch aufgrund ihrer beruflich bedingten Leidenschaft für Kunst und Antiquitäten wussten sie alles zu schätzen, was einen gewissen historischen Bezug hatte. Und was war historischer als Schwertkampf?
Papy übertraf sich selbst und kaufte mir einen Anzug und einen Degen. Ich sparte mir die Erklärung, dass es in Vincents Studio eine bestens ausgestattete Rüstkammer gab, in der es wirklich an nichts fehlte, und dass Fechten nur ein Teil meines Trainings sein würde. Um mit Gaspards Trainingsplan mithalten zu können, hätte er mir sonst noch eine Streitaxt, einen Kampfstab und ein halbes Dutzend anderer Waffen kaufen müssen.
Mein Großvater deutete auf eine Blumenvase, die auf dem Flurtischchen stand. »Die standen im Vestibül, als ich meine Zeitung geholt habe.« Ein buntes Biedermeiersträußchen steckte in der kleinen, runden Vase,daneben lagein Geschenk. Ich wickelte es aus dem Papier und zum Vorschein kam ein Buch mit dem Titel Le Langage des Fleurs. »Die Sprache der Blumen«, flüsterte ich leise vor mich hin. Ich schlug es auf und entdeckte eine Widmung auf der ersten Seite:
Für Kate
Ihr beherrscht schon zwei Sprachen fließend,
da kann auch eine dritte nicht schaden.
Eure Hausaufgabe liegt diesem Buch bei.
Voller Zuneigung,
Violette de Montauban
Nach einem Blick auf den winzigen Strauß durchblätterte ich den Band auf der Suche nach gelben Rosen und purpurfarbenen Hyazinthen. Mit einem Lächeln steckte ich das Buch in meine Tasche und rief Papy noch ein »Au revoir« zu.
Unten angekommen, schaute ich mich nach Vincent um.
Wie immer klopfte mein Herz ein bisschen schneller, denn gleich würde ich ihn sehen, auf der anderen Straßenseite, wo er immer auf mich wartete, lässig an den Zaun gelehnt. Kein Wunder also, dass mein Herz sank, als ich stattdessen Jules entdeckte. Ich bemühte mich, meine Enttäuschung mit einem Lächeln zu kaschieren, doch er bemerkte es trotzdem.
»Tut mir leid, dass ich nicht dein Freund bin. Und das meine ich so doppeldeutig, wie es klingt«, sagte er amüsiert, bevor er mir einen Kuss auf jede Wange gab.
»Wo ist Vincent denn?«, fragte ich. Er bot mir seinen Arm, also hakte ich mich unter, und
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