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Vom Mondlicht berührt

Titel: Vom Mondlicht berührt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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allein waren. Die Uhr auf seinem Schreibtisch verriet mir, dass er seinen Laden erst in einer halben Stunde schließen würde. Das ließ uns viel Zeit.
    Ich zog die Schachtel aus dem Regal, holte das Bestiarium heraus, legte es auf den Tisch und schlug die Seite mit den Revenants auf. Vincents Augenbrauen verschwanden fast in seinem Haaransatz, als er die Zeichnung sah. »Wow, Kate, so etwas ist wirklich außerordentlich selten. In Büchern, die Menschen zugänglich sind, findet man fast gar nichts mehr über Revenants.«
    »Wieso nicht?«
    Er starrte weiter auf die offen liegende Seite, während er sprach: »Alle Kunsthändler wissen, dass sie so etwas für ein Vermögen an eine Gruppe anonymer Käufer veräußern können. Diese Sammler reißen sich alles, was auch nur im Entferntesten mit Revenants zu tun hat, unter den Nagel, bevor es überhaupt auf den offiziellen Markt gelangt.« Vincent warf mir einen schnellen Blick zu. »JB ist einer von ihnen. Alte Schriften wie diese stapeln sich zuhauf in seiner Bibliothek. Gaspard hat bisher schätzungsweise noch nicht einmal die Hälfte davon gelesen.«
    »Tja, dann wird Papy es zu schätzen wissen«, sagte ich und fragte mich trotzdem, wieso er auf eine stolze Summe verzichten würde, nur um dieses Buch in seiner Bibliothek zu haben. Vielleicht hatte er die Seite mit den Revenants ja nicht gesehen und deshalb nicht bemerkt, was diese Ausgabe wert war.
    Vincent hatte sich wieder ganz dem Buch gewidmet. Seine Lippen bewegten sich, während er den Text mit dem Zeigefinger Wort für Wort nachfuhr. »Du kannst Latein?«, fragte ich.
    Er lächelte. »Ja, Latein war zu meiner Zeit ein Pflichtfach in der Schule – das war noch bevor jemand auf die Idee kam, tote Sprachen seien zu nichts mehr nutze. Willst du wissen, was da steht?«
    »Ich habe mich gestern Abend schon an einer Übersetzung versucht«, gestand ich.
    »Das war ja klar«, sagte er. Seine Augen funkelten amüsiert. »Als würdest du dir eine solche Herausforderung entgehen lassen.« Seine Augen senkten sich erneut auf die Seite und er gab die kurze Passage auf Englisch wieder. Ich war zufrieden, weil ich das Wesentliche richtig verstanden hatte. Die beiden letzten Zeilen ließ er wohl bewusst aus, was ich ihm nicht verdenken konnte. Ich an seiner Stelle hätte ihm auch den Gedanken erspart, verflucht zu sein, weil er mit mir zusammen war.
    »Kannst du mir was zu dem Wort ›Bardia‹ erklären?«, fragte ich. »Wenn ihr wirklich so heißt, wieso nennt ihr euch dann nicht so, sondern Revenants?«
    »Das ist eine gute Frage«, antwortete Vincent. »Ich vermute, der Begriff ist einfach aus der Mode gekommen.« Er dachte einen Augenblick lang nach. »Wenn ich’s mir recht überlege, hat es vielleicht etwas mit dem Gefühl von Überlegenheit zu tun. Wir halten uns für die einzig wahren Revenants und die Numa nur für eine Abweichung. Frag Gaspard noch mal genau danach, aber ich glaube, das Wort ›Bardia‹ kommt von einem Wort, das ›beschützen‹ bedeutet. Eigentlich wäre es also sogar die treffendere Bezeichnung für uns. In unseren offiziellen Papieren heißen wir auch so. Aber nenn mal Ambrose oder Jules so – die werden dich sicher komisch angucken.« Er blätterte das Buch kurz durch, bevor er es zurück in die Schachtel legte und diese dann vorsichtig zurück an ihren Platz im Regal schob.
    »Vincent? Jean-Baptiste hat heute davon gesprochen, in die Offensive zu gehen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, du wolltest nicht, dass er weiterspricht. Ihr habt euch so vielsagend angestarrt, bevor Arthur sich zu Wort gemeldet und mich aus der Besprechung verjagt hat. Worum ging’s denn da?«
    Ein sonderbarer Ausdruck huschte über sein Gesicht. Vincent nahm meine Hände und sagte: »Das ist nicht wichtig. Und wenn es je wichtig werden sollte, erzähle ich es dir. Wieso widmen wir uns jetzt nicht etwas Interessanterem?«
    »Zum Beispiel?«, fragte ich.
    »Zum Beispiel der Frage, wohin ich dich heute zum Abendessen ausführe«, sagte Vincent, umfasste meine Taille und zog mich eng an sich, um mich zu küssen. Jeder meiner noch so kleinen Zweifel schmolz dahin wie Schneeflocken über einem Lagerfeuer.

 
    A m nächsten Morgen erwachte ich mit einer Mischung aus Aufregung und Furcht. Heute stand mal wieder Kampftraining mit Gaspard und Vincent auf dem Plan. Obwohl ich das Kämpfen an sich liebte, fühlte ich mich wie der größte Stümper. Meine erste Stunde vor knapp einem Monat war ein absolutes Desaster gewesen.

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