Vom Mondlicht berührt
hatte, seiner Mutter Paroli zu bieten.«
Darüber musste ich lächeln.
Mamie nahm meine Hand. Sie trug noch immer das gleiche Gardenienparfum wie früher, als ich ein kleines Mädchen war. Dieser Geruch erdete mich wieder. Meine Großmutter kannte mich schon mein Leben lang. Sie war sogar dabei gewesen, als ich zur Welt kam.
Und trotzdem kann ich ihr nicht sagen, was mir tatsächlich auf dem Herzen liegt, dachte ich. Ich vertraute Mamie blind, doch wie würde sie wohl reagieren, wenn ich ihr erzählte, was Vincent wirklich war? Selbst wenn sie mir glauben und mich nicht gleich in die Klapse stecken würde, war ihre wichtigste Aufgabe, mich zu beschützen. Und welche Großmutter würde ihrer Enkelin erlauben, eine Beziehung mit einem Revenant zu führen?
»Diese ganzen Veränderungen sind sicher nicht leicht für dich«, hörte ich Mamie sagen. Ich fing meine Gedanken wieder ein und schaute in ihr besorgtes Gesicht. »Der Umzug von Brooklyn nach Paris. Die neue Schule. Die neuen Freunde. Wahrscheinlich fühlt es sich an, als wärst du in einer neuen Welt gelandet. Vielleicht obendrein in einer unheimlichen.«
Ich ließ mich fest von ihr umarmen und dachte dabei: Ach, Mamie. Wenn du wüsstest, wie recht du hast.
Vincent stand schon vor der Wohnungstür, als ich sie öffnete. Seine beunruhigte Miene verflüchtigte sich, ich sah wohl nicht mehr übermäßig aufgebracht aus. »Kate, es tut mir so leid«, sagte er und nahm mich in die Arme. Ich schloss die Augen und genoss einen Augenblick lang diese warme Umarmung, bevor ich ihn mit in die Wohnung nahm.
»Hallo, Vincent, mein Lieber«, begrüßte Mamie ihn und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm zwei Wangenküsse zu geben. »Wie geht es Ihnen?«, fragte sie.
Meine Großeltern mochten Vincent sehr, was mir definitiv das Leben erleichterte. Während sie Georgia immer fragten, wohin sie ging und was sie vorhatte, musste ich nur erwähnen, dass ich mit Vincent loszog; mehr wollten sie dann gar nicht wissen. Auch ein guter Grund, keinen Staub aufzuwirbeln.
»Dann lass ich euch beide jetzt mal allein«, sagte Mamie, nachdem Vincent und sie sich gegenseitig auf den neuesten Stand gebracht hatten. Mamie schob uns ins Wohnzimmer und schloss die Glastüren hinter uns. Das Wohnzimmer war vollgestopft mit Antiquitäten, Kunstgegenständen und Gemälden. Es roch wie eine Mischung aus einer muffigen Bibliothek und einem Beduinenzelt.
Ich setzte mich aufs Sofa neben eine Vase voller Schnittblumen. Mamie hatte immer welche zu Hause, sodass man stets auf eine Wolke von Freesien- oder Fliederduft traf, ehe man wieder in dieser speziellen Geruchszone landete. Vincent nahm mir gegenüber in einem Sessel Platz.
»Ich glaube, ich kann mich gar nicht genug für das entschuldigen, was da vorhin passiert ist«, sagte er. »Du weißt hoffentlich, dass niemand sonst seiner Meinung ist.«
»Weiß ich«, sagte ich, obwohl ich noch ziemlich klar vor Augen hatte, dass Jean-Baptistes offizielle Erlaubnis, das Haus betreten zu dürfen, nicht gerade von Freudensprüngen begleitet gewesen war. Doch seit diesem Tag hatte er sich mir gegenüber ausnahmslos höflich verhalten.
»Ich versteh das einfach nicht«, sagte Vincent mit grüblerischer Miene. »Arthur ist so ein gutherziger Kerl. Auch wenn er und Violette sich manchmal aufspielen, als wären sie Gottes persönliche Gesandtschaft, hat er bisher weder absichtlich jemanden ausgeschlossen, noch war er besonders pedantisch.«
»Vielleicht war er nur ehrlich«, vermutete ich. »Kann ja sein, dass er es wirklich gefährlich findet, wenn ich eure Pläne mitbekomme.«
»Das hätte er trotzdem vorab mal ansprechen können. Es war wirklich nicht nötig, das vor versammelter Mannschaft zu machen.« Er streckte seine Hand aus, um mir über die Wange zu streicheln. Ich griff nach seiner Hand, führte sie kurz an meine Lippen und ließ sie dann gefaltet in meinen Schoß sinken.
»Mir geht’s gut. Wirklich«, sagte ich, obwohl diese Demütigung ein kaltes Gefühl in meinem Bauch hinterlassen hatte, das einfach nicht verschwinden wollte. »Aber was ist das eigentlich zwischen Arthur und Violette? Manchmal streiten sie sich wie ein altes Ehepaar, aber ich hab noch nie gesehen, dass sie sich gegenseitig anfassen oder berühren. Sind die beiden zusammen?«
Meine Frage brachte Vincent zum Lachen und er stand auf, um sich eine von Papys antiken Figuren, die auf dem Kaminsims stand, aus der Nähe anzusehen. »Sie sind nicht zusammen. Zumindest nicht,
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