Vom Regen in die Traufe
Gottes hat auch mich ein b ö ses Missg e schick ereilt. Ich habe mir n ä mlich knapp unterhalb des Knies das linke Bein gebrochen. Das Ungl ü ck passierte, als wir in aller Ruhe am Strand entlangritten. Aus irgendeinem unbegreifl i chen Grund ging mein Pferd pl ö tzlich durch und warf mich ab mit der Folge, dass ich unsanft im Sand unmittelbar am Wasser landete. Das w ä re vielleicht nicht weiter schlimm gewesen, h ä tte nicht gerade dort die dicke Luftwurzel einer Palme herausg e ragt, auf die mein Schienbein mit voller Wucht traf. Ein una n genehmes Knacken war zu h ö ren, und ich lag in vollkommen hilflosem Zustand im feuchten Sand.
Hermanni brachte mich sofort in die Klinik nach Papeete, und jetzt ist mein linkes Bein bis zur H ü fte vergipst. Anhand der R ö ntgenaufnahmen konnte festgestellt werden, dass sich der Bruch in guter Fixierungslage befindet, aber da es sich um einen gro ß en und tragenden Knochen handelt, muss ich noch reichlich einen Monat in Gips liegen. Das ist sehr beschwe r lich, denn das Klima ist feucht und warm und der Heilung s prozess sehr schmerzhaft. Es ist undenkbar f ü r mich, in ein Flugzeug einzusteigen, schon allein deshalb, weil das vergipste Bein auf keinen normalen Flugzeugsitz passt und so viel Platz ben ö tigt, dass allein f ü r mich drei Tickets gel ö st werden m ü s s ten. Der ö rtliche Chirurg hat mich au ß erdem vor den anderen Gefahren einer langen Flugreise gewarnt. Er h ä lt es f ü r m ö g lich, dass sich im gebrochenen Bein eine Embolie bildet oder dass es im schlimmsten Falle abstirbt. Und das ist vielleicht noch nicht einmal alles.
Aber ich will nicht klagen! Mach dir nur ja keine Sorgen um uns, wir bei ß en die Z ä hne zusammen und versuchen unser Bestes. Jetzt beabsichtigen wir, in ein billigeres Quartier umz u ziehen. Wir w ü nschen dir und deinen Gesch ä ften viel Erfolg und werden versuchen, dich ü ber unsere kleinen Wehwehchen auf dem Laufenden zu halten. Dein lieber Onkel Ragnar. «
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Ragnar Lundmarks betr ü gerische Botschaft schockierte und ä rgerte die Nichte. Die verflixten Kerle hatten sich mal wieder in Schwierigkeiten gebracht, jetzt hockten sie da am Ende der Welt und weinten um Hilfe. Sie h ä tte die beiden Halunken nie allein so weit weg fahren lassen d ü rfen. Ein finnischer Mann braucht auf seinen Reisen die Frau und Mutter, die sich um alles k ü mmert und die Verstand hat. Besorgt schickte Lena Geld nach Tahiti, damit die vom Schicksal gebeutelten aufst ä nd i schen Guerillaf ü hrer sich gesund pflegen lassen kon n ten.
In Finnland fiel Schneeregen, aber in der S ü dsee ging der Fr ü hling in den hei ß en Sommer ü ber, in dem nur der Wind, der vom Ozean her wehte, K ü hlung spendete. Die beiden Vag a bunden, denen nichts fehlte, nicht mal mehr Geld, hatten es so gut wie nie zuvor. Hermanni sehnte sich zwar nach seiner Verlobten, manchmal sogar sehr, aber er beruhigte sich, wenn Ragnar ihn an die allt ä gliche Seite der Ehe erinnerte. In dem bald beginnenden B ü ndnis st ü nde Hermanni eine bis ans Ende seines Lebens dauernde gemeinsame Wegstrecke mit dieser zielstrebigen Frau bevor. Mindestens zwanzig Jahre Liebe wollten abgearbeitet sein. Dieser Gedanke k ü hlte die sehns ü c h tigen Gef ü hle so weit herunter, dass sich der Br ä utigam wieder auf Segeln, Golf, Kaninchenjagd und Polo konzentrieren kon n te, in der letztgenannten Disziplin schlug allerdings Ragnar als Oberst, der er war, stets s ä mtliche Gegner. In dieser Hinsicht war es ein Gl ü ck, dass sein linker Unterschenkel nicht gebr o chen war. Ein Einbeiniger spielt kein Polo.
Diese gl ü ckseligen Zeiten h ä tten wom ö glich fortgedauert, h ä tte nicht Ragnar Lundmark in seiner Gier der Nichte vorg e logen, dass die Genesung l ä nger dauerte, als angenommen. Er faxte auf die Å landinseln eine wehleidige Jeremiade, der zufo l ge sich herausgestellt hatte, dass Hermannis Malaria eine durch Bilharz-Larven verursachte Muskelerkrankung war, und sein eigenes Bein wiederum hatte sich entz ü ndet und musste de m n ä chst operiert werden.
» Somit k ö nnen wir nicht mehr in diesem Jahr nach Europa zur ü ckkehren, sondern erst in ein, zwei Monaten. Es zerrei ß t mir das Herz, dir diese Tatsachen erz ä hlen zu m ü ssen, aber wir haben hier in Tahiti niemanden, keinen einzigen Landsmann, dem wir uns anvertrauen k ö nnten, du bist die Einzige, an die wir uns in unserem Kummer wenden k ö nnen. «
Dieses letzte Fax las er
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