Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
den Füßen aufgeknüpft von einer Reihe hoher Bäume hängen. Ihre hässlichen schwarz-weißen Schädelmasken
scheinen der Zwangslage Hohn zu sprechen, in der sie sich befinden. Die Frau schaut zwischen Dace und mir hin und her. »Und jetzt gehört ihr anscheinend auch mir.«
Ich mustere ihren schwarzen Flatterrock, die schwarzen Schnürstiefel und das Mieder aus Schlangenleder, ehe ich an ihr vorbeispähe und die Umgebung mustere. Auf einmal erkenne ich, was ich auf den ersten Blick übersehen habe.
Der Bach ist nicht in ein Bett aus Steinen geflossen, wie ich zuerst dachte.
Es ist ein Bett aus Knochen.
Wohin ich auch blicke, überall sind Knochen.
Es gibt sogar ein Haus aus Knochen – ein mattweißer Palast mit Höckern und Gelenken an den Ecken, Zähnen als Dekoration an den Fenstern und Türen und einem Zaun außen herum, der ebenfalls aus Knochen besteht – vorwiegend Oberschenkelknochen und Wirbelsäulen, mit gelegentlich mal einem Ellbogen zwischendrin.
Und da bemerke ich, dass das, was ich zuerst für Bäume gehalten habe, gar keine Bäume sind – zumindest keine lebenden Bäume. An ihnen sprießen keine Blätter mehr, sie spenden weder Sauerstoff noch Schatten. Sie sind längst abgestorben, und ihre verbrannten, knochigen Gerippe sind alles, was noch übrig geblieben ist.
Die Frau breitet abermals die Arme aus und blickt zum Himmel. Ihre Bewegung lässt ihn zu einem glitzernden Zelt aus schwarzem Samt werden, während ihr Gesicht sich in einen Totenschädel verwandelt, ihr Rock ein Wirbel aus schnappenden, sich windenden Schlangen wird, die sich um ihre Beine und ihre Taille schlängeln, und ihre Augen zu grausigen leeren Höhlen werden, die sich auf mich richten. Sie reißt den Mund auf und stößt ein entsetzliches Geräusch aus, von Knochen, die auf Knochen schaben, ehe sie
den Kopf in den Nacken wirft und eine lange Reihe von Sternen verschlingt, die einer nach dem anderen in ihren Mund wandern.
Der Anblick verrät mir ohne jeden Zweifel, dass Dace mich zum Haus der Knochenhüterin gebracht hat.
Einundfünfzig
D u kannst ihn nicht haben«, sage ich und funkele sie an, während Dace nach meiner Hand fasst. Der Druck seiner Finger warnt mich, dass dies nicht die klügste Vorgehensweise ist, doch das kann mich nicht aufhalten. »Du kannst all die anderen haben. Es ist mir egal, was du mit ihnen machst, aber der hier gehört mir.«
»Keiner von ihnen gehört dir!«, kreischt sie mit glühenden Augenhöhlen, während ihr Rock züngelt. »Wie kannst du dir eine solche Anmaßung erlauben? Weißt du nicht, wer ich bin?«
Ich nicke. Nicht nur ich weiß es, sondern der Richter, um den wir uns streiten, hat es mittlerweile auch kapiert, wenn man danach geht, wie er knurrt und jault und kämpft wie ein Berserker, um sich zu befreien. Doch es hat keinen Zweck, denn mit einer einzigen Handbewegung von ihr stürzt sich ein Pulk Schlangen auf ihn, umwickelt seinen Hals, seine Arme, seine Beine und hält ihn gefangen wie zuvor die Ranken.
»Dann weißt du ja, dass diese Knochen mir gehören. Alle Knochen gehören mir. Und diese speziellen Knochen wurden mir viel zu viele Jahre lang vorenthalten.« Sie sieht den untoten Richter neben sich finster an. »Heute ist der Día de los Muertos – der Tag, an dem mir die Toten ihre Knochen bringen. Das ist keine Gefälligkeit. Das ist kein Opfer, um mich gnädig zu stimmen. Es ist der Preis, den man für seinen
endgültigen Einlass ins Jenseits bezahlt. Diese Coyoten-Familie hat sich mir jahrhundertelang entzogen, aber jetzt ist Schluss. Ihre Knochen werden mein sein, und da ihr den Weg hierher gefunden habt, gehören mir eure auch.«
Dace umfasst meine Hand fester, aber ich bin zu perplex von ihren Worten, um mich zu beherrschen. »Du kannst mir meine Knochen nicht wegnehmen!«, schreie ich. »Ich bin noch nicht einmal tot!« Dace versucht, mich zum Schweigen zu bringen, mich zur Selbstkontrolle zu bewegen, doch es hat keinen Zweck. Ich bin hierhergekommen, um Palomas Seele zu holen, und ich werde mir auf keinen Fall ein Scheitern erlauben.
Die Knochenhüterin starrt mich an und wägt meine Worte ab, während sie mit den Fingern an ihrem zischenden, züngelnden Schlangenrock zupft. »Das lässt sich leicht ändern«, erklärt sie, während ihre glänzenden schwarzen Stiefel über die Erde gleiten, bis sie direkt vor mir steht. Ihr Schädelgesicht glänzt von all den Sternen, die sie gerade verschlungen hat.
Ihre Finger greifen nach mir, begierig, mich
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