Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
zur Tür und presse mich gegen die Wand, in der Hoffnung, etwas mitzubekommen, ohne gesehen zu werden.
Ich überlege, wann ich sie den Satz schon mal habe sagen hören. So viele Menschen sind in unser Leben getreten und wieder gegangen, dafür hat Jennika gesorgt, aber es gibt nur eine Person, von der sie jemals gesagt hat, sie sei wie vom Erdboden verschluckt gewesen.
Es gibt nur einen Menschen, der noch schwerer zu fassen ist als Jennika und ich: die Mutter meines Vaters. Meine lang verschollene Großmutter, die laut Jennikas Aussage nicht einmal die Beerdigung ihres eigenen Sohnes bis zum Ende abgewartet hat.
Paloma Santos ist ihr Name, und eine Sekunde später bestätigt Jennika meine Vermutung.
»Schön. Angenommen, Sie sind wirklich Paloma. Sie haben immer noch nicht meine Frage beantwortet – warum jetzt? Warum fast siebzehn Jahre später? Welchen Sinn soll das haben? Können Sie sich eigentlich vorstellen, was Sie alles versäumt haben?«
Und obwohl ich keine Ahnung habe, was Paloma darauf antwortet, weiß ich, dass es bedeutsam genug sein muss, um Jennika zum Schweigen zu bringen. Ich höre nur, wie sie nach Luft schnappt, bevor sie wieder etwas sagt.
»Woher … woher wissen Sie das?«, fragt sie mit brüchiger Stimme. »Nein, Sie können leider nicht mit ihr sprechen. Es … es ist kein guter Zeitpunkt.«
Ich schleiche mich dichter ran und wage einen Blick durch den Türrahmen. Sehe, wie Jennika über dem Tisch hängt. Mit einer Hand stützt sie ihren Kopf auf, mit der anderen presst sie das Telefon ans Ohr. Schließlich sagt sie hastig: »Sie ist ein kluges, wunderschönes Mädchen. Sie sieht ihrem Vater sehr ähnlich. Sie hat meine grünen Augen und meinen hellen Teint. Aber alles andere hat sie von ihm. Es tut mir leid, dass du alles versäumt hast, Paloma. Es tut mir wirklich leid. Aber jetzt ist kein guter Zeitpunkt. Wir machen gerade eine schwierige Phase durch. Es gab einen … Zwischenfall. Und bis ich … was?« Jäh richtet sie sich auf. »Wie um alles in der Welt kannst du davon wissen?«
Sie dreht sich zur Tür – wohl eher eine Vorsichtsmaßnahme als ein echtes Gespür für meine Nähe. Hastig verziehe ich mich außer Sichtweite und warte ab, bis sie weiterredet.
Gedankenverloren kippelt sie mit dem Stuhl. Sie nickt mit zusammengebissenen Zähnen, hört zu, nickt erneut. So geht es eine Weile weiter, bis ich vor Neugier geradezu platze und mich frage, was meine verschollene Großmutter da wohl gerade offenbart.
»Ja, ich erinnere mich«, sagt Jennika schließlich, stellt ihren Stuhl wieder auf vier Beine und starrt auf die ausgefallene Maserung der Tischplatte aus Zebranoholz. »Er hat dich sehr geliebt und geachtet. Aber er wollte sein eigenes Leben führen, auf seine Weise. Er wollte ein Leben außerhalb von New Mexico. Und jetzt, nachdem du bei ihm versagt hast, glaubst du, du könntest eine zweite Chance mit Daire bekommen? Das kannst du unmöglich ernst meinen.«
Die Worte mögen sich stark anhören, doch Jennika selbst
klingt nicht stark. Und ich kann mich nicht erinnern, sie jemals so verloren und unterlegen gesehen zu haben.
»Sie wird behandelt. Mit Beruhigungsmitteln. Der erste Arzt in Marokko hat ihr starke Medikamente gegeben, aber die haben nicht geholfen. Nichts hilft. Sie verändern bloß die Dosierung, versuchen, etwas zu finden, das eine Wende bringt. Sie behandeln sie wie ein Versuchskaninchen, und jetzt haben sie mich wissen lassen, dass sie alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Behaupten, dass sie sie …« Ihre Stimme versagt, und sie hält sich die Hände vors Gesicht. Nach ein paar Sekunden hat sie sich wieder gefasst, setzt sich gerade hin und fährt fort: »Sie wollen sie in die Psychiatrie einweisen. Hinter Schloss und Riegel stecken und überwachen. Und ich bin, offen gesagt, mit meinem Latein am Ende. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich hab mir frei genommen, aber bald muss ich wieder arbeiten. Ich muss Rechnungen bezahlen und für unseren Lebensunterhalt sorgen, und jetzt kann ich sie nicht mehr einfach mitnehmen wie sonst immer. Sie darf zurzeit nicht fliegen, und selbst wenn, könnte ich sie nicht ständig unter Tabletten setzen und auf sie aufpassen. Und jetzt rufst du an. Der letzte Mensch, mit dem ich gerechnet hätte. Einfach so, aus heiterem Himmel. Was für ein Zufall!« Sie lacht, aber es klingt nicht echt, eher wie die Sehnsucht nach einem Lachen.
Ihre Schultern sacken nach unten, als sie weiter zuhört. Ihr Schweigen wird
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