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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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ich Fuß-, Bein- und Armmuskulatur, um meinen
Körper auf die stundende Beanspruchung vorzubereiten. Und ich kann nur sagen:
Es hilft. Nur nicht gegen meine arg strapazierte Laune.
    Nachdem die letzten Tage
äußerst galicisch temperiert waren erkämpft sich die Sonne nach und nach den
Himmel zurück. So steigt nach dem café con leche in Ventosa (das zweite
Dorf mit diesem Namen auf meinem Camino) mit den Temperaturen auch meine Laune.
Gegen halb elf knallen mir die Sonnenstrahlen auf den Kopf, als wäre das Grau
der letzten Tage nur ein böser Traum gewesen. Sowieso scheint das Klima
Richtung Westgalicien milder zu werden, denn bald tauchen vereinzelt
Palmengewächse am Straßenrand auf. Die heutige Etappe gestaltet sich sehr
abwechslungsreich: Einige Straßenabschnitte werden von Esskastanienbäumen
gesäumt, andere führen an weitläufigen Feldern entlang. Über eine steinerne,
mehr als sechshundert Jahre alte Brücke überquert der Weg den Río Tambre. Genau
dort steht heute ein knallroter, blankpolierter Ferrari. Braucht man den hier?
Braucht man überhaupt einen? Fragen über Fragen. Anschließend geht es vorbei an
dicht gewachsenen Maisfeldern und durch ein winziges Waldstück, das so
unglaublich idyllisch und malerisch daherkommt, dass meine Endorphinproduktion
in die Höhe schnellt. Über einen schmalen Wanderpfad gelange ich auf eine
breite Landstraße. An einem Haufen ausrangierter Straßenschilder hole ich
Marcos ein.
    Noch deutlich vor dreizehn Uhr
erreichen wir gemeinsam unser heutiges Etappenziel Negreira, und kaum dass wir
fünf Minuten gewartet haben, stößt Chris zu uns. Sie ist völlig begeistert von
der heutigen Strecke, und auch ich bin nach anfänglichen Problemen blendend
gelaunt. Als wir gemeinsam die Kleinstadt durchqueren, beginnt es irgendwo in
der Ferne zu donnern. Je weiter wir der Beschilderung zur Herberge folgen,
desto lauter wird es.
    Schließlich bietet sich ein
freier Blick auf den örtlichen Friedhof, und wir können beobachten, wie von
dort aus unzählige Feuerwerkskörper in den Himmel geschossen werden. Es ist
wahnsinnig laut. Zunächst vermuten wir so etwas wie eine Hochzeit oder eine
Beerdigung; in der etwas abseits des Ortskerns liegenden Herberge von Negreira
erfahren wir den tatsächlichen Grund: In Negreira ist der 21. September ein
Feiertag, von daher werde auf einer kirmesartigen Veranstaltung ordentlich
gefeiert. Und das mit dem Supermarkt könnten wir uns sowieso abschminken.
Immerhin bekommen Chris und ich die letzten beiden Einzelbetten, Marcos einen
Schlafplatz im Reservezimmer mit zwei Stockbetten. Auch Philipp, der Wiener,
und Evelyn, die leichtfüßige Polin, sind schon da. Im Garten spricht mich eine
junge Blondine an, die mich optisch vage an Jeanette Biedermann erinnert.
Letzte Nacht hat sie in derselben albergue in Santiago de Compostela
verbracht wie wir. Grund genug also, sich ein paar Phrasen um die Ohren zu
dreschen.
     
    Die hospitalera hier ist
eine extrem spezielle Person. Völlig gleich, ob es nun um den Stempel, die
Dusche oder das örtliche Hotel geht, sie brüllt. Sie schreit. Einige Japaner
haben hier per Taxi ihre Rucksäcke abgeladen, und nun wartet sie sichtlich
nervös auf Besuch aus Fernost. Als sie meinen japanischen Pass sieht, brüllt
sie mich auf Spanisch an, ob ich denn die beiden Japaner sei. Nein, antworte
ich, denn ich bin ja nur einer, und so vollgepackt wie die Rucksäcke aussehen,
säße ich mit solchen Oschis auf meinem kümmerlichen Rücken immer noch in
Logroño auf dem Kathedralvorplatz. Weinend. Hier schwirrt noch eine pummelige
Japanerin herum, aber die ist auch nur eine und nicht zwei, und die hospitalera kommt aus dem Brüllen nicht mehr heraus. Hinterher, als ich im Obergeschoss auf
meinem Bett liege und vor mich hin döse, darf ich akustisch der Ankunft unserer
Taxi-Japaner beiwohnen. Auch von der brüllenden hospitalera lassen sie
sich nicht davon abbringen, einige Worte mit der pummeligen Japanerin zu
wechseln. Und das Gespräch ist selten doof:
    Japaner: »Ah, Sie gehen den
Jakobsweg.«
    Japanerin: »Ja.«
    Japaner: »Wir auch.«
    Da wäre sie sicherlich nicht
von allein drauf gekommen.
    Japanerin: »Ja. Und kommen Sie
gerade auch aus Santiago?«
    Japaner: »Ja. Zu Fuß.«
    Japanerin: »Ja, wir auch.«
    Ich überlege, ob ich mich als
Trauzeuge anbieten soll.
    Japaner: »Hier ist ja leider
kein Bett mehr frei.«
    Japanerin: »Ist ja auch klein
hier. Aber schön. Schön ist es hier «
    Japaner: »Ja. Wir gehen wohl
ins

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