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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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Hotel.«
    Japanerin: »Ja, da gibt es ja
ein Hotel.«
    Japaner: »Dort unten (in der
Stadt).«
    Japanerin: »Ja.«
    Japaner: »Na dann, vielen
Dank.«
    Wofür bedankt der sich jetzt?
    Japanerin: »Bitte.«
    Sie nimmt den Dank auch noch
an. Herrlich.
    Wenige Minuten zuvor durfte ich
bereits einigen Schwaben lauschen, die mit der geringen Kapazität dieser
Herberge überhaupt nicht klarkamen. Wie es denn möglich sei, dass nur zwanzig
Betten bereitgestellt würden. Und dass man ja immer so früh aufstehen müsse, um
noch eine Unterkunft zu ergattern. Verstehe einer dieses Gejammer. Wir sind
hier doch nicht bei einem Sparurlaub! Ein Doppel- oder Dreierzimmer kostet hier
zurzeit um die fünfundvierzig Euro; wer sich nicht am Wettrennen beteiligen möchte,
soll sich bitte nicht zu schade sein, der nicht ganz so wohlhabenden Region
einige Euros mehr zuzustecken. Auch das Argument »Manche Leute haben das Geld —
ich nicht!« ist lächerlich. Solche Sätze machen mich regelrecht wütend! Jede
verdammte Nase, die hier herumlungert, konnte sich bereits ausführlich im
Internet oder in diversen Publikationen über die Zustände auf den Jakobswegen
rund um Santiago de Compostela informieren. Sich mit diesem Wissen ohne
finanzielle Absicherung auf den Weg zu machen, ist eine Sache. Aber sich dann
darüber auszulassen, dass es nicht genügend preisgünstige Betten für die
verwöhnten westeuropäischen Unterhosenbügler gebe, finde ich schlicht
beschämend. Wenn es ihnen nicht passt, sollen sie doch a) eine eigene Herberge
eröffnen, b) zu Hause bleiben oder c) wenigstens den Mund halten, damit ich
hier in Ruhe vor mich hin dösen kann. Danke.
    Kurz darauf lerne ich einen
wesentlich angenehmeren Zeitgenossen kennen: Martin aus Aschaffenburg. Noch
eine Pilgerbekanntschaft, dessen Vorname mit M beginnt. Martin aus
Aschaffenburg trägt grau meliertes, kurzes, gelocktes Haar und einen Vollbart;
so stelle ich mir einen passionierten Wanderer vor. Er ist bereits einige
Jakobswege gelaufen, unter anderem den Camino Francés, den Camino del Norte/de
la Costa und die Via de la Plata. Dieses Jahr hat er den ältesten noch
erhaltenen Jakobsweg, den Camino Primitivo, hinter sich gebracht. Er erzählt
mir, dass die Etappen dort nicht ganz so einsteigerfreundlich ausgeschildert
und die einzelnen Etappen etwas lang seien, aber die Abgeschiedenheit habe er
sehr genossen. Wie es sich wohl anfühlt, bei Melide plötzlich auf den völlig
überfüllten Francés zu treffen? »Das kenn’ ich ja schon«, antwortet Martin.
Nach all der Einsamkeit tue etwas Gesellschaft ganz gut. Ihn hat das häufig
zitierte Camino-Fieber mit voller Wucht gepackt. Die einen sagen, dass man den
Camino erst wieder gehen solle, wenn der Glockenklang der Kathedrale von
Santiago verhallt sei. Die anderen sagen, der Camino mache süchtig. Martin würde
sich wohl eher der letzteren Aussage anschließen.
    Als endlich etwas Ruhe einkehrt
und ich völlig allein im Zimmer liege, sehe ich mir den schwingenden botafumeiro auf meiner Digitalkamera an. Ich war so unverschämt, sie während der Messe
mitlaufen zu lassen. Das fünfeinhalb Minuten lange Video löst heftige Emotionen
in mir aus. Klar war die Kathedrale mit Hunderten von Menschen vollgestopft,
aber das Fass wurde nur für die Pilger, für uns geschwungen. Ein sensationelles
Gefühl. Es kommt häufiger vor, dass ich nach einer anstrengenden Etappe abends
im Bett liege und mir die Fotos ansehe, die ich über den Tag aufgenommen habe.
Auf dem Camino prasseln an einem einzigen Tag mindestens genauso viele
Ereignisse auf mich ein wie zu Hause in einer ganzen Woche. Wenn man ein
Elefantengedächtnis besitzt, wie mein Bruder, der sich detailliert an
Ereignisse von vor dreißig Jahren erinnern kann, mag das kein Problem
darstellen. Aber mir hilft die digitale Gedächtnisstütze ungemein, um überhaupt
eine verlässliche Chronologie in die unzähligen Erinnerungen zu bringen.
    Nachdem ich eine Weile im Bett
gelegen habe, lockt mich die strahlende Sonne nach draußen in den Garten. Die
Blondine von vorhin ist immer noch da und spricht mich sogleich an. Gegen einen
kleinen Plausch habe ich nichts einzuwenden, so dass wir schnell ins Gespräch
kommen. Jeanette heißt eigentlich Daisy, kommt aus dem sonnigen Kalifornien und
hat Haus, Auto, Verlobten, Job hinter sich gelassen, um aus dem typischen
Vorstadtalbtraum einer US-amerikanischen Vorabendserie auszubrechen und die
Welt zu bereisen. Manchmal hat man nicht viel, auch wenn man

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