Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
die Drei im Schatten
einen kühlen Drink genehmigen, steht der vollbepackte Esel nur wenige Meter
weiter und gibt ein jämmerliches Bild ab. Einen buen camino wünsche ich
den Dreien bestimmt nicht. Ich passiere sie grußlos betrete die Bar, setze mich
an die Theke und bestelle mir eine eiskalte Cola sowie eine Flasche Wasser. Im
nächsten Moment betritt Annemarie die Bar, die ältere Dänin von gestern Abend.
Wie Avril trägt auch sie ihr weißes Haar sportlich kurz. Natürlich erkennt mich
die extrem fitte Dame sofort und setzt sich zu mir.
»Hast du den Esel gesehen?«,
fragt sie mich.
»Ganz glücklich scheint der mir
nicht zu sein«, antworte ich in einer Deutsch-Englisch-Mischung.
Sie stellt nüchtern fest:
»Menschen denken nur an Folklore, es ist immer wieder dasselbe.«
Für etwa eine Stunde wandern
wir Seite an Seite. Wie Avril denkt auch Annemarie viel über die bald
anstehende Pensionierung nach. Die Dänin arbeitet als Berufsberaterin für
Menschen mit Behinderung, beispielsweise zur Verbesserung ihrer Situation in
einem bestehenden Arbeitsverhältnis. Einerseits könnte sie jetzt schon in
Frührente gehen und zahlreiche Projekte in Angriff nehmen; Wünsche hat sie
viele. Andererseits liebt sie ihren Beruf, und ihr fällt es schwer loszulassen.
»Vor kurzem habe ich eine
Assistentin zur Seite gestellt bekommen«, erzählt sie mir. »Sehr nett, ein
liebes Mädchen, wirklich, aber sie ist — wie soll ich sagen? Bei mir muss es
immer schnell gehen, zack, zack, zack, und sie ist eben...«, sie beginnt
plötzlich abzubremsen und in Zeitlupe zu gehen, »sie ist eben so. Un-er-träg-lich
langsam.«
Darüber muss ich lachen.
»Das kann ich einfach nicht mit
ansehen«, fährt sie fort, muss allerdings selbst lachen. »Ich werde dann
ungeduldig und mache letztendlich eben doch lieber alles selbst. Aber das darf
ich nicht. Ich muss endlich lernen, Verantwortung abzugeben. Und dazu ist der
Jakobsweg doch perfekt, oder? Mehr Abstand geht nicht. Jetzt hat sie für sechs
Wochen die volle Verantwortung.«
»Vielleicht lernt sie’s ja
endlich«, bemerke ich.
Sie lacht. »Oder ich komme
zurück und sie hat den ganzen Laden an die Wand gefahren! Wir werden sehen.«
Nach einer Weile komme ich mir
vor wie ihre Assistentin: Sie ist mir einfach viel zu fix auf den Beinen. Dabei
ist sie mehr als doppelt so alt wie ich. Ich muss noch viel lernen. Aber sie
weiß um ihr hohes Tempo und zeigt vollstes Verständnis.
»In Dänemark gibt es auch einen
Fernwanderweg, den wollte ich als Training laufen. Aber nach ein paar Tagen
ging nichts mehr, ich hatte solche Schmerzen. Einfach falsch gelaufen. Den Rest
bin ich dann in drei Tagen mit dem Fahrrad gefahren. Ich habe meinen Sohn
angerufen, der hat mir dann das Fahrrad gebracht. Das war kein Problem.«
Meine Güte, ist die hart. Aber
ich habe ja noch dreiunddreißig Jahre Zeit, mich in Form zu bringen. Wir
verabschieden uns, und sie saust atemberaubend schnell davon.
Ich lasse den Blick über die
Landschaft schweifen. Auf saftig grünen Wiesen zwischen Feldern und Gehöften
weiden zahlreiche Kühe; es sieht aus wie im Alpenvorland. Im Hintergrund
erstreckt sich ein weiterer Stausee, der Embalse da Fervenza. Allein lässt es
sich übrigens hervorragend rasten: Ich muss niemandem Bescheid geben, halte
niemanden auf, bin zeitlich flexibel und darf sooft ich will. Bis nach Olveiroa
lege ich noch zwei Pausen ein, bevor ich um kurz vor sechzehn Uhr die Herberge
des Etappenziels erreiche. Für die heutige Tagesetappe habe ich also ziemlich
genau neun Stunden benötigt. Ich bin hochzufrieden mit meiner Disziplin und
fühle mich blendend. Meine Laune steigert sich noch weiter, denn die Herberge
gehört mit zu den schönsten des gesamten Camino. Für sie wurden drei
Altbauhäuser tadellos saniert. Der uralte, steinerne hórreo in der Mitte
setzt dem ganzen die Krone auf. Und dann der Empfang: Chris und Marcos jubeln
mir zu, als ich um die Ecke biege. In fabelhafter
Hotelpoolliege-mit-Handtuch-Reservierungsmanier haben die beiden für mich ein
Bett freigehalten. Wer solche Pilgergefährten hat, braucht nicht viel mehr zum
Glück. Normalerweise bin ich ja ein Gegner dieser Reservierungstaktik, aber es
macht schon einen Unterschied, ob jemand vier Betten freihält oder eines.
Müßig, sich darüber Gedanken zu machen, denn es sind sowieso noch einige Betten
frei. Ich vermute mal, dass sich viele Pilger nach der gestrigen Bettenschlacht
in den Bus nach Fisterra gesetzt haben. Auch
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