Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Genpool.
Mann, Mann, die Beschilderung
lässt extrem zu wünschen übrig. Plötzlich sind sie weg, die gelben Pfeile. Vor
drei Wochen wäre ich stinksauer gewesen, mittlerweile tangiert mich so etwas
eher null. Dann schlendere ich eben ohne Wegweiser weiter, verirren kann ich
mich hier eh nicht. Im nächsten Moment stehe ich vor einer Postfiliale. Wie
praktisch, trage ich doch seit Santiago de Compostela eine Postkarte für meine
beste Freundin Carina mit mir herum. Die Karte wiegt mindestens anderthalb Gramm!
Freundlich lächelnd bietet mir die Dame hinterm Tresen an, die Karte gleich
dazulassen, was ich persönlich in einer Postfiliale nicht unbedingt für eine
bahnbrechende oder extra erwähnenswerte Serviceleistung halte. Nun gut, die
Karte bin ich schon mal los. Dass sie so lädiert aussieht, kann ich ja dann der
Post in die Schuhe schieben; muss ja niemand wissen, dass ich sie drei Tage
lang in meiner Hüfttasche durch die Gegend getragen habe.
Und weiter geht’s. Die äußerst
grobe Karte im Wanderführer sagt mir, ich solle an der Bucht entlanglaufen. Ich
halte das für einen sinnvollen Vorschlag und halte mich daran. Und siehe da wie
aus dem Nichts sind die Wegweiser wieder da. Und wieder weg. Und wieder da.
Verwirrend. Egal, ich starre eh nur noch auf die traumhafte Bucht von Corcubión
mit den unzähligen Fischerbooten und Segelyachten. Alles wirkt wie ein zum
Leben erwachtes, kitschiges Aquarellbild. Eine ganze Grundschulklasse kommt mir
entgegengelaufen, es wird eng auf dem Bürgersteig. Einige der Kids grüßen mich
mit einer Selbstverständlichkeit, wie ich sie von Gleichaltrigen nirgends
erlebt habe.
Nach anderthalb Kilometern
stehe ich mitten in Corcubión vor einer kleinen Kirche und schaue mich wieder
einmal orientierungslos nach einem Wegweiser um. Schon wieder geschieht etwas,
was mir auf dem gesamten Camino nicht passiert ist: Mir hilft ein Städter!
Während Einheimische in Dörfern eher gewillt sind, uns Pilger anzusprechen,
werden wir in Städten ab zweitausend Einwohnern weitestgehend ignoriert.
Besonders in Großstädten; dort haben die meisten Menschen andere Sorgen als
sich Sorgen um andere zu machen. Streng genommen wohnen in Corcubión selbst
keine zweitausend Menschen, aber die drei Siedlungen Os Camiños Chans, Cee und
Corcubión hängen aneinander und umschließen die Bucht von Corcubión. Insgesamt
kommen sie auf etwa zehntausend Einwohner. Jedenfalls ruft mir ein junger,
adrett gekleideter Herr von seinem Balkon aus zu, wo ich entlang muss. Ich
freue mich über den Hinweis, bedanke mich und ziehe weiter. Den Rest erledigt
ein silbergrau gestreifter Kater, dem ich eine Weile den Aufstieg nach Vilar
folge. Nachdem wieder in regelmäßigen Abständen Pfeile und Muschelwegweiser
auftauchen, dreht er sich noch ein letztes Mal zu mir um, bevor er unter einem
Holzzaun hindurchschlüpft und verschwindet. Passiert das hier gerade wirklich?
Zur Sicherheit nehme ich einen großen Schluck Wasser.
Über eine asphaltierte Straße
verlasse ich das Dörfchen auf der Anhöhe und gelange auf eine Kreuzung, an der
ein knallgelbes Gebäude steht. Auf einem Schild oben am Fenster lese ich: »Club
Copacabana II«. Das wirft doch gleich mehrere Fragen auf. Erstens: Wer baut
hier oben auf einem Hügel einen Club, der einen solch frivolen Namen trägt?
Zweitens: Gab oder gibt es irgendwo einen »Club Copacabana I«? Drittens:
Existierte ein Businessplan? Jedenfalls scheint der Laden dicht gemacht zu
haben. Einige Meter weiter steht ein Haus ohne Inhalt. Als hätte jemand das
Innenleben entfernt und die Außenwände vergessen. Auf dem großen, stark verblassten
Schild an der Frontfassade ist lediglich das Wort »puerta« zu erkennen.
Vielleicht wohnte und arbeitete hier der letzte spanische Türmachermeister.
Unten in Cee erzählt man sich noch heute, er habe die besten und passendsten
Türen Spaniens gefertigt. Mit ihm starb das Wissen, und seitdem klemmen in ganz
Spanien die Türen. Wat weiß ich.
Über einen schmalen Waldweg
gelange ich auf die andere Seite der Landzunge. Auf einer Schnellstraße sowie
parallel verlaufenden Schotterwegen passiere ich Estorde und Sardiñero Debaixo.
Mittlerweile kann ich fast durchgehend aufs Meer hinausschauen, der Anblick ist
einfach schwindelerregend. Und dann dieses Wette. Ich töne ja gerne, dass
ausschließlich diejenigen übers Wetter reden würden, die ansonsten überhaupt
nichts zu sagen hätten. Aber wenn ich den heutigen Tag betrachte, dann ist das
Wetter
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