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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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gefällt, ist ihr camino sketch book, eine Art gemaltes
Tagebuch. Mit einem ganz eigenen, faszinierenden Stil zwischen
perspektivfremder Naivität und farbenprächtiger Detailverliebtheit hält sie die
intensivsten Momente ihres Camino fest. Dann plötzlich legt sie die etwas
ermüdende Spiritualität ab und fragt in die Runde: »Habt ihr gewusst, dass
Johnny Depp auf dem Camino unterwegs ist?«
    Das wirkt, denn die Mädels sind
schlagartig ganz Ohr. Ich kenne übrigens keine einzige Frau, die Johnny Depp
nicht toll findet. Der Johnny hat auf Frauen ungefähr die Anziehungskraft eines
gut sortierten Schuhoutlets, nur dass sie sich mit Johnny ganz andere Dinge
vorstellen als mit dem Outlet. Sogleich fragt Michelle ungläubig nach: »Was?
Wann? Jetzt?«
    »Ja!«, quiekt Lory entzückt,
als würde wenigstens Johnny sie vom Pfad der Tugend abbringen können. »Er ist
auf einem Pferd an mir vorbeigeritten! Hach, toll sah er aus, der Johnny.«
    »Komm schon«, interveniert
Avril, »das war nicht Johnny.«
    Lory lacht und klatscht sich in
die Hände. »Natürlich nicht, aber er sah aus wie Johnny«
    Michelle träumt sich gerade zu
Johnny aufs Pferd.
    Ich denke mir, man sollte
Johnny tatsächlich auf ein Pferd setzen und mit versteckter Kamera die
Reaktionen gläubiger, erzkatholischer Pilgerinnen einfangen. Der Katholikengott
mag mächtig sein. Johnny ist mächtiger.
     
    Ab Villamayor del Río, rund
viereinhalb Kilometer vor dem heutigen Etappenziel Belorado, drückt mein
rechtes Knie. Aber was soll’s, viel wichtiger für mich ist die erstmalige,
etwas tiefer gehende Konversation mit Melanie, der siebenundzwanzigjährigen
Deutschen. Einerseits reden wir ziemlich viel Blödsinn und lachen uns schlapp,
andererseits tauschen wir uns auch über diverse persönliche Dinge aus. Sie
studiert Englisch und Spanisch und wird nach dem Camino ein Auslandssemester in
Madrid absolvieren. Mit siebenundzwanzig hat sie immer noch keinen greifbaren
Plan, was sie mit ihrem Leben anfangen möchte. Ihre zwei Jahre jüngere
Schwester dagegen ist bereits verheiratet, Mutter, selbständig und auf gut
Deutsch gesetzt, hat ihr Leben komplett im Griff, Was wohl besser ist? Ich
denke, beides hat seine Vorteile. Zwar bin ich der Meinung, dass Melanie so
langsam ihren Lebensunterhalt selbst in Angriff nehmen sollte, allerdings sieht
sie wesentlich mehr von der Welt als ihre Schwester, die als
Tankstellenpächterin und Mutter ganz anders vor Ort gebunden ist. Und das mit
gerade einmal fünfundzwanzig. Unbekümmertheit bringt Licht und Schatten, aber
gerade, da sie sich wieder einmal vor Lachen den Bauch hält, sehe und höre ich
eher die Vorteile.
    Die Zeit vergeht wie nichts,
und schon erreichen wir unser Etappenziel, den Zweitausend-Seelen-Ort Belorado.
In meinem Wanderführer wird die letzte albergue des Dorfes »Cuatro
Cantones« empfohlen. Melanie und ich sind uns einig, dass wir der Empfehlung
folgen sollten, und hinterlassen Avril, Michelle und Lory eine Nachricht am
Wegesrand. Schließlich durchqueren wir Belorado, leisten uns noch einen kleinen
Abstecher in die Kirche und kehren im »Cuatro Cantones« ein. Ich wiederhole den
Namen der Herberge so gerne, weil Avril ihn gestern bei Durchsicht meines
Wanderführers etwa sechsmal ausgesprochen hat. Mit ihrem britischen Akzent hat
sie einen echten Ohrwurm kreiert. Das Wort »Ohrwurm« übrigens liebt Avril seit
ihrem zweimonatigen Aufenthalt in Deutschland heiß und innig. Sie pflegt es
eins zu eins übersetzt als »earworm« zu benutzen, und erntet bei ihren
Landsleuten reihenweise fragende Gesichter.
    Nachdem Melanie in einem
deutsch klingenden Spanisch dem hospitalero die Ankunft von Avril und
Michelle angekündigt hat, erhalten wir unsere Stempel und dürfen uns im dritten
Stock breitmachen. Die Einrichtung der Herberge ist rustikal, die sanitären
Anlagen sind in einem akzeptablen Zustand, und im Garten lädt ein Pool zum
Plantschen ein. Allerdings nicht heute, denn der Himmel ist bewölkt, die Luft
erstaunlich frisch. Melanie und ich beschließen, die »Innenstadt« von Belorado
zu erkunden. Auf dem großzügig gestalteten plaza mayor (deutsch:
Hauptplatz) entdecken wir einen Stand mit bunten Hüpfbällen aus Gummi. Wir
sinnieren darüber, wie unglaublich bescheuert es doch wäre, damit nach Santiago
zu hüpfen. Was soll man dann im credencial ankreuzen? »A pie« (deutsch: zu Fuß) oder doch »a caballo « (deutsch: zu Pferde)?
    Nach unserem ausgiebigen
Rundgang kehren wir in die Herberge

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