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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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zurück. Da Melanie mir heute Nachmittag
erzählte, dass sie ein Backgammonbrett (!) mit sich herumschleppt (und ich mich
wirklich minutenlang köstlich darüber amüsiert habe) fordere ich sie zum Duell
heraus. Die Wahrheit ist: Ich kenne nicht einmal die Regeln. Aber ich möchte
einfach nicht, dass sie es völlig umsonst siebenhundert Kilometer durch
Nordspanien trägt. In kürzester Zeit entwickeln sich epische Schlachten, und
dank ihrer großzügigen Hilfe gewinne ich sogar einige Partien. Wie man nur auf
die bloße Idee kommen kann, ein Backgammonbrett auf den Camino mitzunehmen,
will sich mir immer noch nicht erschließen. Aber nun gut, wir haben viel
gelacht, ganz umsonst war die Schlepperei also doch nicht.
    Auch Wolfgang hat sich in
unserer Herberge »Cuatro Cantones« eingefunden, ebenso wie Marie, die fröhliche
Französin. Ansonsten sehen wir lauter unbekannte Gesichter. Wo die alle
plötzlich herkommen? Keine Ahnung.
    In einem umzäunten Bereich
neben dem Garten laufen einige Hühner herum. Wahrscheinlich dienen sie allein
dazu, alle Pilger zu motivieren, die es aus unerfindlichen Gründen nicht in die
Kathedrale von Santo Domingo de la Calzada geschafft haben. Ich Jedenfalls
betrachte sie als heilige Ersatzhühner, auch wenn sie sich wahrscheinlich der
hohen Erwartungshaltung, die ihnen in diesem Moment entgegengebracht wird,
nicht wirklich bewusst sind.
    Zum Abendessen werden wir in
einen L-förmigen Raum voller gedeckter Tische gebeten. Melanie und ich werden
mit zwei Jungs aus der Nähe von Düsseldorf, Tommy und Philipp, an einen Tisch
gesetzt. Was folgt, wirkt zwei Stunden später immer noch nach: ein sagenhaftes menú
del peregrino. Den eher harmlos anmutenden Beginn bildet die obligatorische
Pasta mit Tomatensoße. Richtig gelesen, auf dem Camino wird ein ganzer Teller
Pasta als Vorspeise behandelt. Die Portionen sind natürlich nicht so
übertrieben wie in Italien, wo sie einem gleich die halbe Ernte vor die Nase
knallen. Aber im »Cuatro Cantones«, ich entschuldige mich für meine Penetranz,
sättigt die Pasta bereits recht eindrucksvoll. Mit einer gewissen,
herzerwärmenden Routine flitzen die Helfer der Herberge zwischen den Tischen
hin und her und kredenzen uns den Hauptgang: eine würzige, knusprige
Hähnchenkeule mit Kartoffelscheiben sowie einen frischen, leckeren Salat. Und
ich hatte schon Alpträume ob der grausigen Erzählungen, die mich im fernen
Deutschland vom Camino erreichten. Trockenes Fleisch? Kalte, fettige Pommes?
Matschige Nudeln? Das letzte Mal, als ich so vorzüglich speisen durfte wie
hier, haben die Kellner Französisch gesprochen und die Kreditkarte einbehalten.
Wahrscheinlich bestand da ein Zusammenhang, fällt mir gerade auf. Egal.
    Als Nachtisch gibt es Flan,
anschließend noch einen grandiosen, milden Verdauungsschnaps. Zum menú genießen wir einen exzellenten Ríoja-Wein, natürlich all you can drink. Als ich meinem Vierertisch gestehe, dass es mein erstes Pilgermenü ist, werde
ich von allen Seiten ausdrücklich daraufhingewiesen, dass eine solche Qualität
die absolute Ausnahme sei. Tommy erzählt, dass er hier und da schon ganz
schlimme Erfahrungen gemacht habe: trockenes Fleisch, kalte, fettige Pommes und
matschige Nudeln. Aha. Am besten, ich gewöhne mich erst gar nicht ans
Sterneniveau.
    Später sitze ich im Erdgeschoss
inmitten italienischer und spanischer Pilger, um meine Notizen zu ergänzen. Ich
kann mich kaum aufs Schreiben konzentrieren, denn die zwei Pilgergruppen sind
in eine lautstarke Diskussion verwickelt. Dabei bleiben sowohl die Spanier als
auch die Italiener in ihrer jeweiligen Muttersprache. Meine geringen
Spanischkenntnisse reichen aus, um zu verstehen, dass sie übers Gepäck reden.
Mir erschließt sich der Sinn dieser Debatte nicht, da sie gerade das
Gepäckgewicht von Fahrrad- und Fußpilgern vergleichen, aber nun gut. Die
Fahrradpilger werfen locker elf, zwölf oder dreizehn Kilogramm in den Raum. Der
schlaksige Italiener neben mir kann über solche Lasten nur müde lächeln, denn
er reist mit lediglich vier Kilogramm auf dem Rücken gen Santiago, wie er mit
stolz geschwellter Brust verkündet. Die anderen staunen nicht schlecht und
löchern ihn mit Fragen. Zwar verstehe ich kaum ein Wort, vermutlich aber fragen
sie nach Tipps und Tricks zur Gewichtsminimierung.
    Irgendwo im Netz habe ich den
Satz gelesen: »Jedes überflüssige Gramm, das du auf dem Rücken trägst, wirst du
auch spüren.« Wenn ich vor dem Camino etwas beherzigt habe,

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