Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
erreicht drei
Zielgruppen: Die erste möchte einfach attraktive Frauen im Fernsehen sehen.
Übrigens muss der Japaner auch hier jedes Klischee erfüllen: Die Frauen sitzen
dort in Schuluniformen. Die zweite sieht gern zu, wie andere Menschen verarscht
werden, um sich einzubilden, man sei überdurchschnittlich intelligent und
sowieso total super. Und die dritte denkt, es handele sich um eine stinknormale
Talkshow. Sie bemerkt nicht einmal, dass die jungen Frauen verarscht werden.
Die ersten beiden Gruppen sind zu vernachlässigen, aber über die dritte muss
man sich doch ernsthafte Gedanken machen. Zu der gehören junge Menschen mit
einem niedrigen Bildungsgrad oder, und das kommt häufiger vor, mit einer nur
unzureichend ausgeprägten Neugier für die Vorgänge und Zusammenhänge in unserer
Welt. Diese Gruppe zieht ihr gesamtes Wissen aus solchen Sendungen oder
äquivalenten Publikationen; wie sollen sich diese Menschen später im Leben zurechtfinden?
Wer würde diesen Menschen verantwortungsvolle Aufgaben übertragen? Sender, die
den Mist ausstrahlen, handeln meiner Meinung nach einfach nur unverantwortlich,
schlicht asozial und gehören eingestampft.
Glücklicherweise laufen
vormittags überwiegend Nachrichtensendungen, so auch jetzt hier in dieser Bar.
Nebenbei bemerkt vermute ich, dass in Marcos’ Kopf ein Telemagnet eingebaut
ist: Obwohl er das spanische Fernsehprogramm verachtet wie kaum etwas auf der
Welt, dreht sich sein Gesicht vollautomatisch zur Mattscheibe, wenn er irgendwo
in der Nähe ein Fernsehgerät wittert. Und es ist ihm völlig gleich, ob er mit
dem Rücken zum Gerät sitzt oder direkt davor; notfalls verrenkt er sich, um
sich ein Musikvideo ohne Ton (!) anzusehen. Der Kerl ist ein Fernsehdetektor,
bei der GEZ würde er ganz sicher eine steile Karriere hinlegen.
Nach wenigen Minuten betritt
Gillian, die Kanadierin aus León, das Lokal und gesellt sich zu uns. Wir
beschließen, den Weg nach Astorga zu dritt zurückzulegen.
Manch ein Ort versteckt seine
gelben Pfeile äußerst sorgfältig, nicht so aber Villares de Órbigo. Hier
prangen an jeder Straßenecke mindestens drei der Markierungen. Der Ort scheint
mehr Pfeile als Einwohner zu haben. Wir haben das Dorf fast vollständig
durchquert, als uns ein älterer Bauer anspricht.
»Pilger?«, fragt uns der
wohlgenährte Herr.
»Ja«, antwortet Marcos.
»Nach Santiago?«
»Ja.«
Als ob uns das zu etwas Großem
qualifiziert hätte, verkündet er: »Kommt, ich muss euch etwas zeigen.«
Marcos, Gill und ich schauen
uns ein wenig überrumpelt an, aber der Bauer macht einen fröhlichen, geselligen
Eindruck, also folgen wir ihm in den Innenhof seines recht stattlichen Hauses.
»Schaut mal«, fordert er uns
auf und deutet auf ein offenes Fenster.
Wir lugen hinein und erblicken
zwei propere Hausschweine, die Stroh liegen. Ich weiß auch nicht wieso, aber
ich muss lachen. Der zeigt uns seine Schweine wie andere ihre Autos. Sogleich
verfallen Marcos und Ángel, so der Name des Hausherrn, in ein Fachgespräch über
Hausschweine. Plötzlich fällt unserem Gastgeber etwas ein. Er dreht sich um und
geht auf eine Schubkarre voller erntefrischer Gemüse zu.
»Ah«, Ángel greift nach einer
riesigen Zucchini, »wollt ihr vielleicht frisches Gemüse mitnehmen?«
Er streckt uns diese grüne
Hantel entgegen, und ich muss schon wieder lachen. Marcos und Gill bewahren
etwas mehr Contenance als ich.
»Ich befürchte, so viel können
wir nicht tragen«, lehnt Marcos dankend ab.
»Wirklich nicht?« Ángel
schreitet aus dem Hof, wir hinterher und er holt eine noch größere Zucchini aus
seinem Kleintransporter. »Könnt ihr gerne mitnehmen.«
Ohne Jux, die Zucchini ist so
groß wie sein Oberarm.
»Die ist sehr groß«, bemerkt
Marcos. Und lehnt natürlich erst recht ab.
Jetzt muss auch Gill lachen. Es
wäre schon herrlich absurd, mit dreieinhalb Kilo Gepäck und einer fünfhundert
Gramm schweren Zucchini über den Camino zu wandern. Zum Abschied geben wir uns
die Hand, und Ángel wünscht uns einen wundervollen und reibungslosen Weg nach
Santiago. Das wünschen wir uns auch.
Im Gegensatz zur flachen Meseta
wirkt hier die Landschaft so, als hätte eine riesige Faust die Erdkruste von
unten nach oben gedrückt. Über hügelige Feldwege gelangen wir nach Santibáñez
de Valdeiglesias, wo wir eine kurze Rast einlegen. Typisch für diese Region:
Zahlreiche Häuser sind mit Adobe gebaut, einem gut isolierenden, uralten
Baustoff aus Lehm, Sand und Stroh. Zwar
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