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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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auf mich, und die letzten Meter legen wir wie gewohnt
gemeinsam zurück. Seit ungefähr zwanzig Kilometern begleitet uns die
hartnäckige Werbung für die albergue »Santa Ana« mit Doppelzimmern für
überaus faire sechs Euro pro Nase. Natürlich gönnen wir uns diesen Luxus. In
unserem Doplelzimmer hängt ein gekreuzigter Jesus und blutet vor sich hin, was
ich einfach mal so hinnehme.
    Wenige Minuten später trifft
auch Gillian ein, die Kanadierin vom Frühstückstisch. Jetzt sitzen wir frisch
geduscht zu dritt im fliegenverseuchten, aber schönen Vorgarten der heiligen
Ana und lassen uns eiskaltes Zuckerwasser des Pepsico-Konzerns schmecken.
Übrigens sind auch die Gartenmöbel und Schirme voll mit Pepsi-Logos. Am Camino
liefern sich Coke und Pepsi eine geradezu epische Schlacht um die Gunst der
Pilger. Hinter mir probiert gerade eine etwa fünfundfünfzigjährige Pilgerin
Handy-Klingeltöne aus; das habe ich nun wirklich nicht erwartet.
     
    Über San Martin schwebt ein
UFO. Zumindest sieht der hiesige Wasserspeicher so aus. Marcos und ich
schleppen uns zum örtlichen, überraschend gut sortierten Supermarkt und
bescheren dem Besitzer das Geschäft seines Lebens. Außer Zutaten für bocadillos decken wir uns noch mit Getränken und Proviant ein. Während wir in der
Küche der Herberge unsere bocadillos basteln, randalieren vor der Tür
die zwei Hauskatzen. Kaum öffnen wir die Tür, drehen sie drei Kreise in der
Küche und hauen wieder ab. Manchmal benehmen sich Katzen wie Kleinkinder, finde
ich.
    Nach dem Essen sitzen wir
gemeinsam mit Gillian draußen in der Sonne und palavern. Ich trinke Finkbräu
Pils, gebraut nach deutschem Reinheitsgebot, ergänze meine Notizen und kämpfe
mit den unzähligen Fliegen, die hier herumschwirren. Spontan gesellen sich noch
zwei Spanier an den Tisch, darunter auch der, den ich heute Morgen vor dem
Verlaufen bewahren konnte. Der Camino mal wieder. Permanent sieht man sich
wieder, permanent hört man voneinander, und plötzlich tauchen zig neue
Gesichter auf, die die letzten zwei Wochen immer zehn Kilometer vor oder hinter
einem unterwegs waren. Von denen, die ich zu Beginn meiner Reise immer wieder
angetroffen habe, ist niemand mehr imWahrnehmungsradius.
Stattdessen laufe ich seit Burgos mit Marcos zusammen, ohne groß darüber
nachgedacht zu haben. Bisher sind wir uns jeden Abend einig, welches
Etappenziel wir als nächstes angehen wollen. Irgendwie, ohne es zu merken, sind
wir ein gut eingespieltes Duo geworden. Ich war am Abend meines ersten
Wandertages nicht mehr allein, wieso sollte es Marcos anders ergehen?
    Als ich mich heute so durch die
Hitze schleppte, fragte ich mich, ob das wirklich die richtige Art ist, den
Urlaub zu verbringen: Jeden verdammten Tag bis zur Erschöpfung zu wandern, jede
verdammte Nacht dicken Spaniern und Deutschen beim Schnarchen zuzuhören. Für
dasselbe Geld hätte ich mir eine nette Kreuzfahrt oder drei Wochen Tunesien
gönnen können. Wieso also tue ich mir stattdessen diesen Schmerz, den Dreck,
die Anstrengung an? Zunächst einmal bin ich sicherlich nicht der Typ, der sich
wochenlang irgendwo hinlegen und faulenzen könnte. Mein Chef würde sagen: »Das
tust du doch schon hier, wieso dann auch noch im Urlaub?« Davon einmal
abgesehen, für mich muss das Leben weitergehen, jederzeit, nur durch Substanz
und Produktivität werde ich wirklich befriedigt. Obwohl ich es schon seit
Jahren vorhatte, habe ich mir nie zuvor ein ähnliches Unterfangen aufgehalst
wie den Camino. Andere reisen ohne mit der Wimper zu zucken durch China oder
ganz Afrika, aber für mich stellte es schon eine gewaltige Überwindung dar,
überhaupt allein in ein Land zu reisen, dessen Sprache ich nicht fließend
beherrsche. Ich hatte einfach Angst. Vor dem Unbekannten, dem Unplanbaren, dem
Ungewissen. Es ist ja auch wesentlich gemütlicher, zu Hause zu sitzen und
fernzusehen oder irgendwelche Computerspiele zu zocken. Dass ich für die Überwindung
meiner Angst dermaßen belohnt werde, hätte ich kaum für möglich gehalten, und
wird sicherlich einen wesentlichen Teil meines Lebens gewaltig verändern. Meine
Halbzeitbilanz fällt dementsprechend positiv aus: Ich gehe problemlos auf
Mitmenschen zu, schaffe weitaus mehr Kilometer pro Tag als gedacht, höre nur
auf Kopf und Bauch und öffne mich täglich neuen Dingen. Was meinte doch gleich
der Glückskeks? »Sie sind sehr Reiselustig und kontaktfreudig.« Schlauer Keks.
Rund zehn Tage bis Santiago. Unglaublich, wie die Zeit

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