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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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fass’ es nicht!«
    Es gibt nichts zu beschönigen.
Marcos ist auf Hundertachtzig. Aber für derartige Nichtigkeiten kann Chris
keinerlei Verständnis aufbringen. Dabei bräuchte Marcos gerade dringend seelischen
Beistand. Nach über fünfunddreißig Kilometern grauer Pampe, Regen und Asphalt
führt er den Löffel mit der freudigen Erwartung, es handele sich um kühlen,
leckeren Erdbeerjoghurt, an den Mund, um schlagartig festzustellen, dass es
sich um faden, langweiligen Naturjoghurt handelt. Und scheinbar ist es ihm
schon häufiger passiert, dass er eine Packung mit falschem Inhalt gekauft hat.
    »Ich habe mal eine Flasche
Orangensaft gekauft«, schimpft er, »ich nehme einen Schluck, und... es war
Ananassaft!«
    »Schrecklich«, murmelt Chris
teilnahmslos.
    Ich dagegen würde ihm am
liebsten sofort einen Erdbeerjoghurt besorgen, aber hier gibt es weit und breit
keinen supermercado.
    Marcos orakelt: »Ich schwöre
euch, hier in dem Raum isst heute kein einziger Mensch Erdbeerjoghurt.«
    Wahrscheinlich hat er Recht,
und das ganze Kühlregal ist voll mit falsch verpacktem Naturjoghurt. Mir egal,
ich mag eh keinen Joghurt.
     
    Spätabends sitzen wir zu dritt
in der Imbissbar und trinken Bier. Wir plaudern über den Weg und die kommenden
Tage. Marcos und ich haben uns schon einen Plan für die restliche Woche
zurechtgelegt: Bis Montag wollen wir in Santiago bleiben, nachmittags dann nach
Fisterra an die Atlantikküste fahren. Am Dienstag ist eine Fahrt nach Muxía
geplant, am Mittwoch wollen wir bis nach A Coruña hoch, anschließend runter
Richtung Lugo. Am Donnerstag soll es zurück nach Santiago gehen, denn an diesem
Tag möchte Marcos mit dem Zug nach Madrid zu seinen Eltern fahren. Die
restliche Woche plane ich in Santiago zu verbummeln, Chris wird wie geplant
nach Fisterra laufen und möchte eigentlich, dass wir sie begleiten. Wir haben
uns mittlerweile so sehr ins Herz geschlossen, dass wir uns eine baldige
Trennung kaum vorstellen können. Die Zeit wird zeigen, ob wir in Kontakt
bleiben oder uns aus den Augen verlieren.
    Da ich nach unserer kleinen
Rundfahrt Avril in Santiago wiedersehen möchte, gehe ich kurz online, um meine
E-Mails abzurufen und ihr meinen Plan mitzuteilen. Tatsächlich liegt eine neue
Nachricht von ihr in meinem Postfach. Sie schreibt, dass sich Melanie und Jörg
schon vor einigen Tagen abgesetzt hätten. Auch von Michelle habe sie sich
mittlerweile getrennt. Vorgestern war sie in Villafranca del Bierzo, also
vermute ich mal, dass sie heute irgendwo bei O Cebreiro übernachtet. Mit dem
Wiedersehen könnte es knapp werden. In der Hoffnung, dass sie es rechtzeitig
bis nach Santiago schafft, schreibe ich ihr, dass ich wahrscheinlich am 25.
oder 26. September, also in sechs oder sieben Tagen, dorthin zurückkehren
werde.
    Die letzte Nacht vor der
Ankunft. Hoffentlich kann ich einigermaßen gut schlafen.
     
    Etappe 21: Arzúa —
Monte do Gozo (35,1 km)

Sonntag, 20. September 2009
     
    Von wegen einigermaßen gut
schlafen. Eigentlich ist es die logische Konsequenz, wenn dem schlimmsten Tag
auch die schlimmste Nacht folgt. Trotzdem hätte ich gern darauf verzichtet.
Nun, an meinem Kopfende schläft der mit Abstand (oder mit keinem, wie man’s
nimmt) lauteste Schnarcher, den ich bis dato im persönlichen Umkreis von zehn
Metern ertragen musste. Es handelt sich um den alten Mann, einen etwa
fünfundsiebzigjährigen Spanier. Der bemerkenswerteste Unterschied zu den
zahlreichen anderen Schnarchnasen auf dem Camino: Bei wachem Zustand schnarcht
er völlig stumpf weiter. Er ist unglaublich laut. So laut, dass ich ihn
durch meine Ohrstöpsel höre. Während er also höchst wahrscheinlich in seinem
Traum süße Schäfchen zersägt und seine Frau wie ein Murmeltier vor sich hin
schnurrt, können die anderen Pilger im Raum nur noch resignierend lachen.
Unterhalten kann man sich ja nicht, bei dem Lärm.
    Am nächsten Morgen erzählt
Marcos völlig gerädert: »Mitten in der Nacht musste der Schnarcher auf die
Toilette, und ich dachte mir: Okay, Marcos, das ist die Chance, du hast
genau drei Minuten, um einzuschlafen. Aber von wegen. Er kam wieder, legte sich
hin und schlief sofort ein. Sofort! Ich meine, sehr schnelle Menschen brauchen
zwanzig Sekunden, eine halbe Minute, aber dieser Typ brauchte keine halbe
Sekunde!«
    Übrigens heißt schnarchen auf
Englisch »to snore«. Mir hat der Englischkurs auf dem Camino nach und
nach zu einem sehr speziellen Wortschatz verholfen:
     
    ankle

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