Vom Schlafen und Verschwinden
sich auf ihren verschwitzten Körpern nieder und saugten sie aus, einmal war eine Malariafliege dabei. Der Kamerad lag fiebernd in seinem Verschlag und fantasierte, wobei er in einem fort von Afrika sprach, als wäre er in seinen Fieberträumen schon dort. Hugo Schwindt berichtet, dass er es dennoch geschafft habe. Denn er, Hugo, habe Hilfe aus der Zivilisation geholt und einen seiner Männer abkommandiert, um in der Stadt Chinin zu besorgen. Dennoch habe der Kamerad auch nach seiner Genesung weiterhin behauptet, in Afrika gewesen zu sein, so stark seien seine Träume gewesen. Und er habe jeden Abend und in so detailreicher Anschaulichkeit davon erzählt, dass ihm alle nach einigen Wochen geglaubt hätten, obwohl sie ja gewusst hätten, dass es nicht habe sein können. Doch, so Hugo Schwindt, wie man wisse, gebe es ja mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich unsere Schulweisheit erträumen lasse.«
Mir stockte der Atem.
Alles, was ich über Hugo und seine Männer im Wald las, hatte nicht Hugo, sondern Benno erlebt. Es waren Bennos Erfahrungen im Wald. Mir wurde schließlich klar, dass Benno es längst gewusst haben musste. Und ich hatte noch gelacht, als er von Robinson Crusoe anfing! Hugo hatte nie jemanden ausgebildet. Er war immer allein dort im Wald gewesen.Er hatte seiner Mutter geschrieben, dass er in Afrika sei, seinem Vorgesetzten in Berlin schrieb er, dass er Schutztruppen für die Unteroffiziersschule ausbildete. Zur Unteroffiziersschule gab es aber offenbar gar keinen Kontakt, und das Versteck im Wald war die Einsiedelei eines einzelnen Mannes, nämlich die eines Deserteurs. Benno musste es, bald nachdem wir darauf gestoßen waren, begriffen haben.
Doch davon stand nichts in der Arbeit. Sie hieß:
»Der Ausbildungsstützpunkt der Schutztruppen für Afrika am Oberrhein. Eine Sichtung, Transkription und Auswertung der Aufzeichnungen des Leutnants Hugo Schwindt. Vorgelegt von Benno Hoffmann, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg«.
Die ganze Arbeit war eine Ungeheuerlichkeit.
Ich gab ihm die Seiten zurück und hatte nur ein paar Vorschläge zum Satzbau und einige Wortwiederholungen am Rand vermerkt. Er wich meinem Blick aus, aber sein Mund zuckte. Wollte er, dass ich seinen Betrug aufdeckte, oder war ich die Testleserin, die ihm das alles abkaufen sollte? Hielt er mich für dumm oder für seinen Beichtvater? Und was wäre schlimmer?
– Und was machst du jetzt damit?
– Ich lasse es binden und gebe es ab. Was sonst?
– Verstehe.
– Was gibt es da zu verstehen?
– Nichts.
– Was meinst du?
– Nichts gibt es da zu verstehen. Benno, ich verstehe gar nichts. Was ist das? Du schreibst da über dich selbst, ich bin doch nicht blöd. Du bist ein Fälscher.
Benno schwieg, dann fing er an zu lachen.
– Sagen wir lieber, ein Deserteur.
– Von mir aus.
– Ich muss das machen, Ellen. Die Studienstiftung, dasganze Geld, mein Doktorvater, Wikipedia. Danach höre ich auf. Ich will nicht mehr an die Uni. Ich habe andere Pläne.
– Du machst dich strafbar.
Er hatte die Lider halb geschlossen, aber ich spürte, wie er mich dahinter unverwandt ansah.
– Weißt du, die Kolonien waren immer schon eine Projektionsfläche für Ängste und Wünsche. Vielleicht fehlte ihm einfach der Mut. Oder der Glaube an die Sache.
Sein Mund war entspannt, seine Augen waren nicht zu erkennen. Redete er über Hugo oder über sich selbst und seine Karriere? Hatte es je einen Unterschied dazwischen gegeben? Oder redete er über uns, über ihn und mich?
Benno fuhr fort:
– Er war ein guter Soldat, ein Offizier und Hoffnungsträger, er kannte die Codes, sprach den Jargon der Herrschenden. Doch ohne den rechten Glauben wird aus jedem Ordensritter nur ein Auftragsmörder. Also stieg er aus. Er glaubte nun einmal nicht ans Vaterland, doch er glaubte an die Rheinauen und diesen Fluss. Er glaubte nicht an den Ruhm, sondern an die Schenkel dieser Frau. Wahrscheinlich glaubte er nicht einmal an Gott. Aber an den Eisvogel, den er ab und zu sah, glaubte er fest.
Benno machte eine Pause, zog die Augenbrauen zusammen und dachte nach:
– Afrika, die Kolonien, der Ruhm und das Schießen auf Schwarze, also auf Menschen, die genau wie er nur an ihren Wald und ihren Fluss und ihre Frau glaubten – das verstand er einfach nicht mehr. Oder hatte es nie verstanden. Es war etwas Persönliches für ihn, Ellen. Was blieb ihm übrig?
Benno wirkte genau wie sonst, klug und lebhaft. Und er hatte meinen Namen gesagt. Doch bevor ich
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