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Vom Schlafen und Verschwinden

Vom Schlafen und Verschwinden

Titel: Vom Schlafen und Verschwinden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hagena
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Vorgesetzten, dass das Essen von »unwürdiger Fadigkeit« war? Dass er für sich und seine Männer beschlossen hatte, keine Latrinen mehr zu benutzen und einfach so in den »wilden Wald hinein zu scheißen«? Nein, das schrieb man niemandem, außer vielleicht sich selbst. Benno musste also schon stutzig geworden sein, bevor er das Versteck gefunden hatte.
    In einem Doktorandenkolloquium der Universität Heidelberg hatte Benno ein paar Wochen zuvor seine Arbeit vorgestellt, alle hatten ihm gebannt zugehört. Einige Tage später fand Benno einen neuen Eintrag bei Wikipedia zum Thema Schutztruppen, in dem stand, dass die Freiwilligen für Südwestafrika »auf deutschen Ausbildungsstützpunkten für ihre speziellen Aufgaben vorbereitet« wurden. »Solch ein Stützpunkt befand sich beispielsweise in Karlsruhe. Wegen der oft feuchtheißen Bedingungen am Oberrhein sorgte man hier für eine frühe Akklimatisierung.« Benno war einerseits geschmeichelt, dass seine Forschung schon die Runde machte, bevor er damit herauskam, aber gleichzeitig war er auch voller Wut auf denjenigen, der ihm anonym zuvorgekommen war. Dass in den Forschungskolloquien geklaut wurde, war bekannt. Meistens jedoch bedienten sich die Professoren an den Ideen der Doktoranden, wohl weil sie glaubten, nur zu ernten, was sie selbst einst gesät hatten.Die Juniorprofessoren und Assistenten klauten aus nackter Verzweiflung, weil ihnen selbst von den Professoren zuvor schon alles genommen worden war, Ideen, Illusionen, Existenz und Würde. Ein Wikipedia-Eintrag brachte jedoch keinen Ruhm, es konnte also nur ein Kommilitone gewesen sein. Viel Schaden war nicht angerichtet, aber der Druck, der auf Benno lastete, war angeschwollen.
    Doch jetzt konnte er endlich aus dem Gebüsch kommen und der akademischen Gemeinde deutscher Kolonialhistoriker geben, was ihr zustand. Sie wollten Hugo, sie wollten Hugos Ausbildungslager, und Benno konnte liefern.
    Bei der nächsten Chorprobe sprachen wir in der Pause miteinander, aber unsere Liebesgeschichte war zu Ende. Es kam mir fast vor, als habe er schon vergessen, dass wir je eine hatten. Er wirkte abwesend. Nicht, dass er irre geschaut und fahrig gesprochen hätte. Er war immer noch beredt, und seine Sätze waren zusammenhängend, aber zu einem Zwiegespräch kam es nicht mehr. Wenn er etwas sagte, war es, als würden einfach nur seine Gedanken laut werden. Was ich antwortete, war egal. Meine Erwiderungen oder meine Gegenwart – vielleicht hätte ein Spiegel schon gereicht – zwangen ihn dazu, seinen Gedanken eine Stimme zu geben und die Gedanken auf diese Weise für eine gewisse Zeit an die Luft zu lassen. Wandte ich mich ab, verstummte er sofort, bohrte sich wieder nach innen und jagte durch die Gänge und Windungen seines eigenen Gehirns.
    Zudem schien Benno nun tatsächlich im Wald zu arbeiten.
    Das bestätigte mir das stille Pärchen in seiner Wohnung.
    – Hanoi, der Benno isch fascht nimmi do,
    sagte die junge Frau am Telefon in einer singenden, zarten Kopfstimme.
    – Mir hen gedenkt, der isch bei Ihne.

    Ich bedankte mich und legte auf. Ich konnte ihr ja schlecht sagen, dass Benno jetzt in einem Brombeerbusch lebte.
    Die Nächte fingen an, kalt zu werden. Bald würde es frieren.
    Benno ging trotzdem weiterhin mit seinem Laptop ins Versteck und übernachtete sogar dort. Er hatte sich eine Steinschleuder gebaut, Pfeil und Bogen geschnitzt. Stundenlang stand er im flachen Wasser, schoss mit Pfeilen nach Fischen, und wenn er einen erwischte, briet er ihn auf einer Feuerstelle zwischen Altrhein und Brombeerbusch. Salz und Pfeffer hatte er dort. Er suchte nach den Eiern von Gänsen und Schwänen, um sie ebenfalls zu braten, aber dafür war es viel zu spät im Jahr. Er sammelte die Brombeeren ab, doch es reiften keine nach. Also aß er die roten und bekam Durchfall und Fieber. Er musste mindestens einen Tag lang mit Fieber im Wald verbracht haben, bis er sich endlich stark genug fühlte, um nach Hause zu gehen. Ich erfuhr erst davon, als er bei der nächsten Probe wieder da war.
    Er legte sich zu Hause ins Bett, bis das Fieber verschwunden war und sein Bauch nicht mehr wehtat, dann kehrte er zurück in den Wald. Als ich ihn sah, erschrak ich. Sein Haar war in der kurzen Zeit verfilzt, seine Haut rau geworden. Er sprach immer noch ruhig und gefasst, aber ich hatte den Eindruck, dass er sich dabei Mühe geben musste. Seine Augen blieben nie lange an einer Stelle, und seine Lippen waren ständig in Bewegung, nicht

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