Vom Tod verführt: Roman (German Edition)
eigentliche Ziel gewesen war. Ich würde also zum Telefon greifen, sobald ich die allerwinzigste Spur entdeckte. Und wenn ich dem Tod das nächste Mal begegnete, dann hatte ich einen ganzen Sack voller Fragen an ihn.
Hanson rieb sich die Augen und steckte sich das Notizbuch in die Brusttasche. » Fahren Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus. Der Officer wartet unten in der Halle auf Sie.«
Ich hörte, wie seine Schritte auf dem Linoleumboden widerhallten, als er sich entfernte.
» Hey, was ist mit meinen Klamotten?« Meine Kleidung war von der Polizei als Beweisstücke einbehalten worden. Ich tappte über den Boden und zog den Vorhang zurück. » Und ich will noch zu John!«
Hanson war nirgends mehr zu sehen, aber ich hatte eine Schwester aufgeschreckt, die bereits auf mich zukam. Sie riss die Augen weit auf, behielt ihr Lächeln jedoch bei und reichte mir ein Kleiderbündel. » Bis zu Hause wird’s reichen«, meinte sie.
Fünf Minuten später steckte ich in einem lilafarbenen gepunkteten Schwesternanzug, der wie ein Sack an mir herabhing. Wenigstens hatten mir die Beamten meine Stiefel gelassen. Das kniehohe schwarze Leder kaschierte, dass die Hose irgendwo zwischen meinen Knöcheln und meinen Waden endete.
Ich unterschrieb die Entlassungsformulare, die mir die Schwester reichte, ohne sie durchzulesen. Der kurze Krankenhausaufenthalt kostete natürlich eine Stange Geld. Und das hatte ich nicht. Ich kritzelte meinen Namen an die von einem roten X markierte Stelle.
» Tut mir leid, Miss Craft, aber Ihre Versicherungskarte wird nicht angenommen.«
Ich seufzte. Ich hatte schon seit ein paar Monaten keine Krankenversicherungsbeiträge mehr gezahlt. Nun ja, es war den Versuch wert gewesen. Ich nahm die wertlose Plastikkarte zurück und stopfte sie in meine Handtasche. » Sie können mir doch auch eine Rechnung schicken, nicht wahr?«
Sie gab mir zig weitere Formulare. Nachdem ich den ganzen Kram unterschrieben hatte, reichte ich ihr das Klemmbrett zurück.
Aber ich hatte noch etwas auf dem Herzen.
» Können Sie mir den Weg zum Zimmer von John Matthews beschreiben?«
Ihr Lächeln verblasste, und mein Magen krampfte sich zusammen.
Nein, er kann doch nicht … Der Tod würde doch nicht …
Ich schluckte. Ein Kloß saß mir in der Kehle. » Detective John Matthews. Der Polizist, mit dem ich hierhergekommen bin. Der mit der Schusswunde im Hals.«
Sie nickte, runzelte allerdings die Stirn. » Er ist nicht mehr im OP . Aber die Besuchszeit ist vorbei. Tut mir leid.«
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich unwillkürlich den Atem angehalten hatte. » Sie wollen mich bloß auf den Arm nehmen, oder?« Wen, zum Teufel, interessieren denn Besuchszeiten?
Offensichtlich diese Krankenschwester.
» Sie können ihn gern morgen zwischen neun Uhr früh und sechs Uhr nachmittags besuchen. Hat Ihnen der Officer nicht gesagt, dass Ihr Fahrer in der Lobby wartet?« Sie zeigte auf eine Doppeltür.
Hat er. Ich schenkte ihr ein schmallippiges Lächeln, bevor ich ging. Dann muss ich den Weg zur Intensivstation eben selbst finden.
Ich schien kein Gefühl mehr in den Beinen zu haben, als ich zur Lobby schlurfte. John war nicht mehr im OP . Das war eine gute Nachricht. Es ging ihm garantiert schon besser.
Ich zog die Unterlippe zwischen die Zähne und umklammerte den steifen Saum des Kittels.
Vielleicht ging es ihm besser. Vielleicht. Dass der Tod eine Seele vorerst im Körper ließ, musste nicht heißen, dass dieser Mensch nicht starb. Ich hatte das selbst schon miterlebt.
Ein Schauder lief mir über den Rücken, als ich die Tür zur Lobby aufstieß. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich zwei metallisch glänzende Aufzugstüren. In welchem Stockwerk mochte sich die Intensivstation befinden? Wahrscheinlich würde niemandem auffallen, wenn ich mich hineinschlich. Ich wollte mit Maria sprechen, Johns Frau. Ich musste ihr sagen, erklären… Was denn? Dass John getroffen wurde, weil ich der Kugel ausgewichen bin? Ein weiterer Schauder rieselte mir über den Rücken, hinterließ eine eiskalte Spur.
Doch das lag nicht nur an der kühlen Krankenhausluft.
Ich wirbelte herum, erwartete, die vertraute Gestalt des Todes zu sehen. O Mann, diesmal wirst du dich nicht vor meinen Fragen drü…
Es war nicht der Tod.
Ein Geist stand hinter mir, seine nicht körperliche Form schimmerte in unirdischem Licht. Es war nicht ganz ungewöhnlich, in einem Krankenhaus einem umherirrenden Geist zu begegnen, doch diesen Geist kannte ich,
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