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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henisch
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Spaß, sagte der andere, haben Sie gar nichts übrig für die Kunst? Die ist nämlich heiter, sagte der eine, davon werden Sie doch schon gehört haben, sagte der andere, sehr zum Unterschied vom Leben! Anderseits geht sie nach Brot, nämlich die Kunst, davon werden Sie auch schon gehört haben. Also mit einem Wort: Wenn Sie noch einen zweiten Dollar springen ließen, könnten wir die beiden gegeneinander austauschen.
    Was fällt Ihnen ein, sagte Herr Burton, uns fällt alles mögliche ein, sagte der eine, alles mögliche und unmögliche, sagte der andere. Aber wir sind ja nicht so, sagte der eine, wir sind nämlich ganz anders, sagte der andere, nämlich ganz anders, als wir aussehen. Dann ließ der eine den Dollar im linken Ärmel verschwinden, und der andere brachte ihn aus dem rechten wieder zum Vorschein. Und mit einem eleganten Kratzfuß und spitzen Fingern überreichte er ihn der Dame.
    Die schloß nun so rasch wie fest eine Faust um die Münze. Und nickte dem Spender zu: Gott werd es Ihnen danken. Also, Se suchn ejn Bocher, was Se nicht sagen. Sagen Se epess: Wie soll Ihr Jingl denn heißen?
    Moischele? Herschele? Jossele? Jankele? Jitzak?
    Herr Burton fuchtelte abwehrend.
    Mordechai? Schmule?
    Hören Sie, sagte Herr Burton, das hat keinen Sinn. Der junge Mann, den ich suche, hat mir seinen Namen nicht verraten.
    Da wird er womöglich seinen Grund gehabt haben!
    War der Rote oder der Dunkle so vorlaut?
    Was mischen Sie sich schon wieder ein? sagte Herr Burton. Ich habe Sie nicht um Ihre Meinung gefragt! Was nehmen Sie sich überhaupt heraus? Für wen halten Sie sich eigentlich?
    Ich bin Delamarche, sagte der Dunkle, und der da (er zeigte auf seinen Kumpan), der da ist Robinson.
    Nein,
ich
bin Delamarche, sagte der Rote, und Robinson ist der da.
    Gar nicht wahr, sagte der Dunkle, glauben Sie ihm kein Wort, sagte der Rote, halts Maul, sagte einer zum andern.
    Und schon fingen sie an, einander mit Fäusten und Füßen zu traktieren.
    Hören Sie auf, sagte Herr Burton.
    Das sei unmöglich, sagten sie, sie müßten die Frage, wer von ihnen wer sei, ein für allemal lösen. Entweder sei der eine Robinson und der andere Delamarche, nicht wahr, oder der andere sei Robinson, aber dann müsse der eine Delamarche sein.
    Einander zu boxen und zu treten, schien ihnen großes Vergnügen zu bereiten.
    Wenn ihnen der feine Herr allerdings doch noch einen Dollar spendieren wolle, könnten sie diese Frage durch Knobeln entscheiden.
    An dieser Entscheidung lag dem Herrn Burton wenig. Wenn er schon jemandem einen weiteren Dollar spendierte, dann lieber der alten Frau. Allerdings drückte er ihr die Münze diesmal vorsichtshalber in die Hand. Auch diese Hand fühlte sich unverschämterweise an wie die seiner Großmutter.
    Der Himmel solls Ihnen lohnen, sagte die Alte. Also, wie soll das schejne Jingl denn aussejn?
    Nun, sagte Herr Burton, ziemlich groß und recht dünn.
    Mein lieber Herr, sagte die Alte, Dinne haben wir mehr hier.
    Und ziemlich blaß.
    An Blassen sei auch kein Mangel.
    Herr Burton versuchte, sich den jungen Mann ganz detailliert zu vergegenwärtigen –:
    Also schätzungsweise 1,82 groß und 61 Kilogramm schwer.
    Oberkörper leicht vorgebeugt, Kopf ein bißchen zur Seite geneigt, schwarzes, glattes, exakt über der Nasenwurzel gescheiteltes Haar.
    Vielleicht etwas abstehende Ohren? feixte Robinson. (Oder war es Delamarche?)
    Schweigen Sie still, sagte Herr Burton. Eher breite Stirn, eher schmale Nase … Dichte, aber nichtsdestoweniger fein gezeichnete Augenbrauen … Und – ja, ich muß zugeben – schöne, am ehesten blaugraue Augen.
    Ich bitte Sie, sagte die Stimme des jungen Mannes hinter ihm, wie sollen schöne Augen denn aussehen?
    Herr Burton fuhr herum. War der junge Mann etwa die ganze Zeit hinter ihm gestanden?
    Da sind Sie ja, sagte er heiser, ich habe Sie gesucht!
    Ist es der Blick? sagte der junge Mann. Ich habe Augen niemals schön gefunden.

3
    Dann lehnten sie an der Reling und schauten ins Blaue. Und zwar auf dem Promenadendeck. Das Zwischendeck war nun wieder tief unten. Die See war angenehm ruhig, ganz anders als gestern. Die vom Wind gekräuselten Wellen und der Himmel, in den sie hineinzufließen schienen.
    Ziemlich beeindruckend, nicht wahr? sagte Herr Burton. Dort irgendwo vor uns muß Amerika sein, man würde es nicht vermuten. Haben Sie übrigens gewußt, daß Columbus zwei Logbücher geführt hat? Eins, um die Mannschaft, die Angst vor einer Reise ohne Wiederkehr bekommen hatte, in

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