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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henisch
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– Was wollen Sie von mir? Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe? Warum müssen Sie alles so genau wissen? – Soll das ein Interview sein oder ein Verhör? – Das erste Mal in die Staaten gereist bin ich 1864 oder ’65, das zweite Mal 1869, das können Sie in meinen Büchern nachlesen.
    Herr Burton, sosehr er dagegen ankämpfte, spürte eine ununterdrückbare Angst aus seinem Bauch Richtung Brust steigen. Ihm war sehr danach, umzukehren, aber wie er, den Kopf wendend, feststellen mußte, ging das nicht mehr. Zwar hatte sich vor ihm eine Gasse gebildet, eine Gasse aus Menschen, die sich mit jedem seiner Schritte links und rechts von ihm erhoben. Doch hinter ihm schloß sich diese Gasse sofort wieder, ja, er hatte den Eindruck, daß die Gestalten, an denen er glücklich vorbeigekommen zu sein hoffte, nun nachdrängend hinter ihm her kamen.
    Da mußte er etwas sagen, etwas erklären. Entschuldigung, sagte er, excusez moi, beg your pardon! Scusate, perdone, prominte, prostíte, izvínite … Aber was redete er? Warum kamen aus seinem Mund gerade diese Vokabeln?!
    Das war doch verrückt! Diese Situation mußte ein Mann wie er doch in den Griff kriegen! – Ruhig Blut. Ich suche jemanden. Also das hieße auf arabisch ana aphas an schachs. – An schaab, einen jungen Mann, persisch narde dschawanist. Genç adam aryorum, wenn den Herrn Burton seine Türkischkenntnisse nicht trogen. – Me entiende, capite, verstehn Sie, compris? – Vy ponimajete? Nix? You don’t understand me? – Allah yelanaak oder zounds, wie der Westmann sagt. – Verflixt, da spricht man vierzig bis fünfundvierzig Sprachen und Dialekte, aber hier versteht einen keiner!
    Oder doch? – Se suchn ejn Bocher? sagte eine Stimme.
    Wie bitte, was bitte? – Diese Stimme gehörte einer alten Frau.
    Die kauerte einfach im Weg unterm schwarzen Kopftuch. Und als sie dem Herrn Burton ihr Gesicht entgegenhob, war es das seiner Großmutter.
    Tausendundeine Großmutterfalte – frappant! Falten, die er ertastet hat, als er noch blind war. Ich habe in meiner Kindheit stundenlang in die Dunkelheit meiner kranken Augen gestarrt … Wenn ihm damals die Großmutter nicht die Welt erzählt hätte!
    Etwa folgendes sagte er später Frau Klara –: Daß er, genau wisse er selbst nicht, was ihn dort unten so verwirrt habe, drauf und dran war, vor dieser Alten in die Knie zu gehen. Daß sie aber im letzten Moment ihre Frage, die ihm zuerst nicht verständlich gewesen sei, wiederholt habe. Und daß er dann erst begriffen habe, daß sie jiddisch rede.
    Da sei er unwillkürlich zurückgezuckt. Und habe sich möglichst rasch wieder aufgerichtet. Er habe ja nichts gegen Juden, nichts Prinzipielles. Aber eine jüdische Großmutter solle ihm niemand andichten!
    Also Se suchn, fragte die Alte, ä Jingl?
    Ja, sagte er, daß er einen jungen Mann suche, das bemühe er sich den guten Leuten hier schon die längste Zeit klarzumachen.
    Und was, fragte sie weiter (eigentlich ging sie das ja gar nichts an): was wollen Se von ihm?
    Was wollte er von ihm? Wenn er das nur selbst etwas genauer gewußt hätte!
    Wenn der Herr etwa andeiten mecht, sagte die alte Frau, daß ihm jener etwas entwendet hat … In diesem Fall, sagte sie, sage sie nämlich gar nichts.
    (Eigentlich eine Frechheit.)
    Aber nicht doch, Mütterchen, sagte Herr Burton. Und ließ (was blieb ihm in dieser Lage schon übrig) einen Dollar in ihre Schürze springen.
    Sofort war das Mütterchen von zwei Kerlen flankiert. Die sahen einander sehr ähnlich, obwohl der eine dunkles und der andere rotes Haar hatte. Auch hatte der eine einen Schnurrbart, und der andere hatte keinen. Doch wirkte das Haar des Roten wie eine Perücke und der Bart des Dunklen wirkte wie angeklebt.
    Ist der Dollar auch echt, fragte der eine, wahrscheinlich nicht, sagte der andere, na hören Sie, sagte Herr Burton. Man kann ja nie wissen, sagte der eine, man darf doch probieren, sagte der andere, Herr Burton mußte schon sehr bitten. Wahrscheinlich intervenierte er etwas zu spät. Schon hatte erst der eine und dann der andere die Münze zwischen den Zähnen und probierte, was sie aushielt.
    Alle Achtung, echt Silber!
    Was haben denn
Sie
geglaubt?
    Herr Burton bemühte sich, Contenance zu wahren.
    Die beiden warfen einander den Dollar zu wie einen Ball, trieben damit allerlei artistischen Ulk, wie Seehunde.
    Würden Sie jetzt die Güte haben, sagte Herr Burton, der Dame ihr Geld zurückzugeben?
    Ist das Ihr voller Ernst, sagte der eine, verstehen Sie keinen

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