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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henisch
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Herr Burton vielleicht recht, und er könnte noch etwas mehr brauchen. Aber woher nehmen, wenn nicht … vielleicht hätte er doch gut daran getan, die Kasse der Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt für das Königreich Böhmen mitgehen zu lassen. Oder sich auf andere Weise etwas zusätzliches Kleingeld zu verschaffen. Zum Beispiel, indem er … ja, zum Beispiel, indem er in irgendeinem Nest zwischen Tetschen-Bodenbach und Leipzig aus dem Zug gestiegen wäre und, sagen wir, einem nicht besonders frequentierten Krämerladen einen Besuch abgestattet hätte.
    Forsches Auftreten. In geheimer Mission natürlich. Polizeioffizier in Zivil. Bombastischer Name. Also in dieser Funktion hätte er nach angeblich im Umlauf befindlichem Falschgeld recherchiert. Und von einem etwas langsam denkenden Krämer einen kleinen Reisezuschuß konfisziert.
    Der junge Mann lachte. Die Geschichte, die ihm, er wußte nicht recht wie und woher, ins Bewußtsein fiel, erzählte sich sozusagen von selbst. Die Worte und Sätze traten ganz einfach aus seinem Mund zutage, ohne daß der Rest von ihm etwas Nennenswertes damit zu tun hatte. Wenn er dagegen an die Nächte dachte, in denen er jeden einzelnen Satz, manchmal jedes einzelne Wort, unter Schmerzen von sich losriß! Warum widerfuhr ihm das nicht öfter, daß er so erfreulich problemlos, fast nach der Art der biblischen Zungenredner, einfach inspiriert war?
    Herr Burton indessen fand das weit weniger lustig. Wollen Sie mich …? brauste er auf, das vulgäre Wort, das aus ihm auszufahren im Begriff war, nur mit allergrößter Selbstbeherrschung bei sich behaltend. Der junge Mann, dieses Greenhorn, was wußte der von ihm? Aber was
konnte
er wissen? Woher denn? Von wem denn?
    … Begab sich der Angeklagte am 29. 3. 1869, vormittags, unter dem Namen Polizeilieutenant v. Wolframsdorf aus Leipzig in den Laden des Materialwarenhändlers und Strumpfwirkers Carl Friedrich Reimann zu Wiederau. Diesem teilte er mit, er sei beauftragt, nach Falschmünzern zu fahnden, mit denen Reimann, Leugnen sei zwecklos, der Behörde bekanntermaßen schon seit Jahren in Verbindung stehe. Zum Vorweis seiner Barschaft aufgefordert, holt der Geschäftsinhaber zuerst einen Zehnthalerschein herbei, den der angebliche Polizeilieutenant unter dem Vorwande, er sei falsch, beschlagnahmt. Eine an der Wand hängende Zylinderuhr (vergoldet) will er als gestohlen erkennen und beschlagnahmt sie ebenso wie das Silbergeld aus der Ladenkasse, zu deren Öffnung er den Krämer, unter der Vorstellung, daß eine diesbezügliche Widersetzlichkeit seine Lage nur verschlechtere, nötigt. Sodann fordert er Reimann auf, behufs weiterer Erörterung mit ihm nach Clausnitz zu gehen, wo sich die Gendarmerie befinde. In Clausnitz angekommen, bezeichnet er dem Krämer das Haus, in dem das Verhör stattfinden soll, bedeutet ihm aber, in den Gasthof zu gehen und zu warten, bis er zur Einvernahme abgeholt werde. Im Gasthof wartet der Krämer mehr als zwei Stunden. Als er schließlich, durch vorsichtiges Befragen der anderen Gäste sowie der Wirtsleute, nach und nach erkennen muß, daß er einem frechen Betrüger aufgesessen ist, ist derselbe längst verschwunden.
    Herr Burton atmete schwer. Wie war das nur möglich?
    Seine Augen verengten sich: Sagen Ihnen die Namen Hermann Cardauns, Pauline Münchmeyer oder Oskar Gerlach irgend etwas? Haben Sie einmal Kontakt mit einem Dr. Friedrich Larass gehabt? Ist Ihnen je ein gewisser Herr Lebius oder Levius begegnet?
    Das hatte Herr Burton gefährlich leise gefragt.
    Nein, antwortete der junge Mann erschrocken. Wer die Herrschaften sein sollten?
    Er wirkte verstört, durch die unerwartete Reaktion des Herrn Burton aus allen Euphoriewolken gefallen.
    Wie jemand, der sich verstellte, wirkte er aber nicht.
    Doch wie, in drei Teufels Namen, war es dann denkbar …?!
    Wie kommen Sie bloß auf diese Falschgeldgeschichte?
    Keine Ahnung … Es war ein spontaner Einfall …
    Kein guter, sagte Herr Burton, in der Theorie respektive Phantasie kann man sich solche Geschichten hübsch zusammenreimen, aber in der praktischen Wirklichkeit gehen sie früher oder später schief.
    Ja, sagte der junge Mann, wahrscheinlich haben Sie recht. Ehrlich gesagt wäre er für solche Aktionen ohnehin zu schüchtern. Allerdings habe er einmal einen Roman vorgehabt, in dem diese Art von Kleinkriminalität eine gewisse Rolle gespielt hätte. Es ging darin um zwei verfeindete Brüder – während der eine in einem europäischen Gefängnis saß,

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