Von ängstlichen Drachen, halben Mänteln und zahmen Wölfen - die schönsten Heiligenlegenden neu erzählt
hin? Und ganz allein? Und durch den Wald?“, fragte er misstrauisch. Elisabeth konnte ihm gar nicht in die Augen sehen. „Och, ich, ich wollte nur ein bisschen allein sein …“, stotterte sie. „Und dazu brauchst du so einen schweren Korb?“, fragte Ludwig weiter. Elisabeth schwieg. Lügen war einfach nicht ihr Ding, da hielt sie besser einfach den Mund. „Was ist denn da drin, in deinem Korb?“, fragte Ludwig möglichst harmlos. Elisabeth sagte noch immer nichts. „Los, zeig mir, was in dem Korb ist!“, brüllte Ludwig. So kannte Elisabeth ihn gar nicht! Noch nie hatte er sie angeschrien! Da erwachten derZorn und der Trotz in Elisabeth. Sie schaute ihm geradewegs in die Augen und zog das Tuch weg, das sie über die Brote gelegt hatte. „Nahrung, Ludwig“, rief sie, „Nahrung für Leib und Seele!“ Irgendetwas stimmte nicht, denn Ludwig starrte völlig verblüfft auf ihren Korb. Als Elisabeth den Kopf drehte und selbst hineinschaute, war der Korb über und über mit Rosen gefüllt. Da musste sie lächeln, nahm eine rote Rose heraus, reichte sie ihrem Mann und küsste ihn. „Sag ich doch: Nahrung für Leib und Seele“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Und Zeichen der Liebe – zu dir und zu all den anderen Menschen.“ Und damit ließ sie ihn stehen und ging ihres Weges.
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Namenstag:
19. November
Martin macht es warm – mitten im Winter
Martin trat in der Abenddämmerung vor die Kaserne und schnupperte. „Es riecht schon wieder nach Schnee“, dachte er. Dieses Jahr hatte es schon im November angefangen zu schneien. Martin konnte sich nicht erinnern, dass der Winter schon einmal so früh hereingebrochen war. Die Straßen waren seit zwei Wochen mit der weißen Pracht bedeckt und in der Kaserne hatte man ihnen schon die Winteruniform ausgegeben, damit die Soldaten gerade bei der Nachtwache nicht so froren.
Martin würde gleich seine Schicht am östlichen Stadttor antreten, zusammen mit seinem Freund Julius. Mit ihm waren die Nächte beinahe kurz, und auch, wenn der Morgen mal wieder auf sich warten ließ, wusste Julius immer noch eine Geschichte zu erzählen, die ihn wachhielt, bis die Sonne über die Mauern stieg und sie das Hufgetrappel ihrer Wachablösung schon von Weitem hören konnten.
Julius war ein Christ, aber das durfte niemand wissen. Und außer Martin, seinem besten Freund, hatte er es auch niemandem erzählt, denn sonst wäre er wohl als Soldat des römischen Kaisers entlassen worden. In Rom war der Kaiser so etwas wie ein Gott: Man verehrte ihn und glaubte an seine Macht und Größe. Daneben hatten vielleicht noch ein paarrömische Götter Platz, aber sicher nicht der Gott der Christen. Julius hatte Martin viel von diesem Jesus erzählt, von dem die Christen sagten, er sei der Sohn Gottes gewesen. Martin hatte aufmerksam zugehört und Julius Löcher in den Bauch gefragt über seinen Glauben. „Komm doch einfach mal mit zu uns“, hatte Julius gesagt, „am einfachsten ist zu verstehen, was wir Christen sind und glauben, wenn du siehst, was wir tun. Bei uns gibt es keinarm und kein reich, kein groß und klein, mächtig oder ohnmächtig, da sind alle gleich. Wir teilen, was wir haben, und helfen uns, wo wir können. Eben so, wie Jesus das auch getan hat.“ Martin war schrecklich neugierig, aber er hatte auch Angst, seinen Job als Soldat des römischen Kaisers zu verlieren, wenn herauskam, dass er zu den Christen ging.
Eigentlich hatte er gehofft, heute von Julius neue Geschichten hören zu können, aber er war krank geworden. Und deshalb musste er die Nachtwache heute mit Darius verbringen. Martin mochte ihn nicht. Er war ein ungehobelter Klotz, der immer nur seinen eigenen Vorteil im Kopf hatte und sich ansonsten damit auszeichnete, dass er alles am besten konnte: am lautesten brüllen, am meisten Bier trinken, am besten mit dem Schwert umgehen. Er ging unmöglich mit den Menschen um, wenn sie zu spät zum Stadttor kamen und nach der Sperrstunde noch um Einlass baten. Martin hatte sich deswegen schon ein paarmal mit ihm angelegt. Außerdem trampelte er mit Vorliebe auf denen herum, die schwächer waren als er, und ließ keine Gelegenheit aus, einen anderen bloßzustellen.
Jetzt trat er neben Martin in die Dunkelheit und blökte über den ganzen Kasernenhof: „Na, Martin, hast du wieder deinen ganzen Sold an die Armen und Verzweifelten verschenkt oder hast du noch ein paar Pfennige übrig, die ich dir heute Abend beim Kartenspielen abnehmen kann?“ Dazu grinste er breit und
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