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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Firma stellte feuerfestes Celluloid für Filme und besondere Lacke für deutsche Flugzeuge und Luftschiffe her. Müller erkannte bald, dass sein berufliches Fortkommen durch die fehlende »Maturität« (Abitur) behindert war. Er kehrte 1918 in die obere Realschule zurück und bestand ein Jahr später die Prüfung mit Bestnote. Sofort begann er an der Uni Basel Chemie, Physik und Botanik zu studieren. Von da an lief es wie am Schnürchen. Dissertation in organischer Chemie, Doktorat 1925, schon im Mai desselben Jahres Eintritt in die Fa. Geigy als Forschungschemiker.
    Wie stellt man nun die Wirksamkeit von Stoffen gegen Insekten fest? Man baut sich einen Glaskasten, in den man Schmeißfliegen einbringt und anschließend durch ein Loch im Boden die jeweilige Substanz hineinsprüht. So machte es jedenfalls Dr. Müller. Er hatte schon mehr als dreihundert Substanzen getestet, ehe er auf DDT kam. Es fiel ihm auf, dass die Wirkung nicht sofort einsetzte, sondern erst nach Stunden. Damit entsprach es eigentlich nicht dem Anforderungsprofil des gesuchten Insektizids, das sollte nämlich unmittelbar wirksam sein wie das Pyrethrum. Aber manchmal muss man auch von den eigenen Grundsätzen abweichen. Müller entdeckte noch etwas: Der DDT-verseuchte Glaskasten behielt seine tödliche Wirksamkeit auch nach mehrmaliger gründlicher Reinigung – man würde also nur geringste Mengen des Giftes brauchen.
    Bei solchen Sätzen stellen sich dem Gegenwartsmenschen die Haare auf: Was ist mit der Giftigkeit für den Menschen, mit der Rückstandsgefahr, der Abbaubarkeit? Von diesen Kriterien existierte erst die normale Toxizität, die anderen waren unbekannt, kein Thema. Und giftig für den Menschen war das Zeug nicht. Es brannte nicht auf der Haut oder in den Augen und erzeugte keine Atemnot, also war es nicht giftig, oder?
    Nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs wusste man, was ein richtiges Gift ist: Gelbkreuz, Blaukreuz, Grünkreuz. Gifte machen blind, Blasen auf der Haut und man hustet sich stückweise die Lunge aus dem Leib. Das sind Gifte! Dagegen ist DDT wie Babypuder. Für Mikrogrammfuchserei bei Rückstandanalysen gab es weder Bedarf noch die nötige Apparatur. Es ist die Ironie der Geschichte, dass diese Substanz, das erste moderne Insektizid, die Einstellung nicht nur der Fachleute, sondern der breiten Öffentlichkeit grundsätzlich ändern sollte. Mit DDT beginnt der Generalverdacht, unter dem die Chemie bis heute steht. Von etwas Fortschrittlichem hat sie sich zum Dämonischen gewandelt, eine tödliche Bedrohung, gepaart mit reiner Heimtücke.
    Doch zunächst war alles eitel Wonne: Mit DDT besaß die Fa. Geigy das gewünschte, universal einsetzbare Insektenmittel. Als medizinisches Produkt entwickelte man »Neocid«, als Agrarchemikalie »Gesarol«. Die Wirksamkeit des Mittels wurde 1939 entdeckt. Der nachfolgende Zweite Weltkrieg verlieh der Substanz eine Bedeutung und Verbreitung, die sie ohne den Krieg nie erreicht hätte. Warum?
    Bis ins 20. Jahrhundert starben an kriegsbegleitenden Epidemien oft mehr Menschen als durch militärische Einwirkungen. Besonders gefürchtet war das Fleckfieber, das bezeichnenderweise auch Läusefieber oder Kriegsfieber , auch Flecktyphus genannt wurde. Hervorgerufen durch bestimmte Parasiten, sogenannte Rickettsien, übertragen vor allem durch Läuse. Große Menschenansammlungen unter prekären hygienischen Bedingungen, wie sie in Kriegszeiten üblich sind, führen zur explosiven Ausbreitung der Parasiten. Schon im Ersten Weltkrieg hatte man das erkannt und durch »Entwesung« hintanzuhalten versucht. In eigens konstruierten Baracken wurden die abgelegten Kleider mit heißem Dampf und Blausäure behandelt, die Leute mit Seifenlauge und Petroleum gewaschen – umständliche und langsame Verfahren. Das DDT, vermischt mit Talkumpulver, konnte mit Druckluft einfach unter die Kleidung geblasen werden, niemand musste sich ausziehen, es brauchte zur Entwesung keinen Dampf und keine Giftgase. Die Militärs waren begeistert. Der größte, auch propagandistisch genutzte Erfolg war die Bekämpfung einer Seuche im 1944 eroberten Neapel durch amerikanische Truppen. Die schon ausgebrochene Fleckfieberepidemie konnte durch Anwendung von DDT in 43 Stationen beendet werden. 1,3 Millionen Personen wurden behandelt, trotzdem starben 250000 Menschen an dieser Krankheit (eben am Flecktyphus und nicht am »normalen« Typhus, wie immer wieder zu lesen ist; der wird nämlich durch Bakterien über

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