Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
schrieb das Ganze säuberlich in seine Dissertation – und das war’s. Es ging einfach darum, ob diese Reaktion funktionierte und was dabei herauskam: Chlorbenzol und Chloral ergibt Dichlordiphenyltrichloräthan. Aha. Insektizide Wirkung? Davon ist keine Rede.
»Beitrag zu Kenntnis der Verbindungen zwischen Aldehyden und aromatischen Kohlenwasserstoffen« hieß die Doktorarbeit Zeidlers, er hat also noch andere Produkte hergestellt, später übernahm er eine Apotheke in Wien, 1911 ist er gestorben, von der insektentötenden Wirkung seines DDT hat er nie erfahren – und er hat, ich wage diese Vermutung, an diesen speziellen Stoff in seinem späteren Leben nie mehr einen Gedanken verschwendet. Leicht möglich, dass Othmar Zeidler nicht nur der erste Mensch war, der DDT synthetisierte, sondern für sechs Jahrzehnte auch der letzte: die Substanz war zu nichts zu gebrauchen. DDT diente als Mosaikstein zur Erlangung eines Doktortitels und zu nichts sonst.
Sechzig Jahre später: Die Schweizer Chemiefirma Geigy AG war bisher auf sogenannte Feinchemikalien spezialisiert; ihr Renner war ein Wollfarbstoff. Ende der Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts fanden die Inhaber, dass sich Geigy breiter aufstellen müsste, wenn die Firma konkurrenzfähig bleiben wollte. Sie hatte circa hundertachtzig Jahre vorher als Handelsunternehmen für »Materialien, Chemikalien, Farbstoffe und Heilmittel aller Art« begonnen, erst später Pflanzenfarben extrahiert und ab 1859 den Farbstoff Fuchsin hergestellt.
Nach der Krise von 1929 litt auch die chemische Industrie der Schweiz unter einem Konjunktureinbruch; um nicht allein auf die Textilfarbstoffe angewiesen zu sein, bedurfte es der Diversifizierung und neuer Forschungsfelder. Forschungsleiter Paul Läuger erhielt den Auftrag, nach synthetischen Insektiziden zu suchen. Das sind solche, die man aus einfachsten Grundbestandteilen im Labor zusammenkocht – das Gegenteil, die natürlichen Insektizide, kommen eben als Naturprodukte schon in Pflanzen vor. Zum Beispiel das schon im 19. Jahrhundert bekannte Pyrethrum, ein Insektenpulver, das aus verschiedenen Chrysanthemenarten gewonnen und auf dem Balkan und in Russland angebaut wurde. Warum hat man dann nicht einfach diese Naturstoffe analysiert, sprich ihre Struktur aufgeklärt und dann im Labor nachgebaut? Weil diese Substanzen kompliziert gebaut sind; entsprechend kompliziert und teuer ist die Synthese. Im Fall der Pyrethrine gelang sie erst nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Firma Geigy hatte schon das Mottenmittel Mitin entwickelt. Dieses Molekül hat gewisse strukturelle Eigenheiten in Bezug auf einen Farbstoff – kein Wunder, Geigy war zu jener Zeit eine Farbenfabrik. Mitin verhielt sich wie eine Textilfarbe und »zog auf die Faser« auf. Dieses Verhalten, mit der Faser eine mehr oder weniger unlösliche Verbindung einzugehen, die weder durch Waschen noch durch Licht wieder zu lösen war, erwartete man von einer anständigen Farbe. Mitin war zwar farblos, machte diesen für einen Farbstoff doch deutlichen Nachteil aber durch einen überragenden Vorteil wett: es war giftig für Motten, die einen Mitin-gefärbten Faden fraßen. Noch besser wäre nun ein Mittel gewesen, das die Viecher durch bloße Berührung umbrachte, ein Kontaktinsektizid.
Auf die Formel brauchen wir nicht näher einzugehen, was aber gleich auffällt, sind ziemlich viele Chloratome an sechseckigen Strukturen, den schon bekannten Benzolringen. Der Verdacht liegt nahe, dass die Giftwirkung auf Gliederfüßer etwas mit diesem Strukturelement zu tun haben könnte. Wie will man das aber wissen? Man probiert es aus, soll heißen, man testet so viele Stoffe wie möglich auf ihre insektentötende Wirkung; heute nennt man das Screening . Forschungsleiter Läuger beauftragte den Chemiker Paul Hermann Müller mit dieser speziellen Aufgabe.
Müller hatte keine typische Forschungskarriere hinter sich. Geboren wurde er 1899 im schweizerischen Olten, sein Vater war Beamter bei der Eisenbahn. Die Familie zog nach Basel um, Paul, das älteste von vier Kindern, ging auf die Realschule – und nicht aufs humanistische Gymnasium, wie das zum Aufstieg ins gehobene Bürgertum notwendig gewesen wäre. Aber auch in der Realschule begeisterte er sich nur für die naturwissenschaftlichen Fächer, mit sechzehn ging er wegen schlechter Noten (man darf hier sprachliche Fächer vermuten) von der Schule ab und wurde Laborant bei der Cellonitgesellschaft Dreyfuss & Cie. Die erst 1912 gegründete
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