Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
mittlerweile bei eins zu tausend! Immerhin wurde die Krankheit, die im 19. Jahrhundert noch in Skandinavien wütete, in Europa ausgerottet, in den südlichen USA durch Trockenlegen der Sümpfe erst in den Dreißigerjahren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich besonders DDT als sehr wirksam bei der Bekämpfung der Mücken erwiesen. In Indien sank die Zahl der Opfer in zwei Jahrzehnten von achthunderttausend auf null. Nach dem DDT-Verbot in den Industriestaaten blieb die Anwendung zum Schutz der menschlichen Gesundheit zwar erlaubt, aber die reichen Geberländer weigerten sich, Geld für Malariaprogramme zu spenden, bei denen der Einsatz von DDT vorgesehen war. Durch diese Weigerung des Westens, DDT einzusetzen, wurde den malariaverseuchten Ländern eine der wichtigsten Waffen gegen die Seuche aus der Hand geschlagen. Die Einsatzmenge in der Landwirtschaft und im Haus unterscheidet sich erheblich. Für 100 Hektar Baumwollfeld braucht man 1100 Kilo DDT in vier Wochen, zum Besprühen der Innenwände eines Hauses reicht ein Kilo des Mittels für ein ganzes Jahr. DDT tötet die Mücken nicht nur ab, sondern hält sie auch fern. Es ist deutlich billiger als jedes andere Insektizid. Südafrika, das als einziges betroffenes Land nicht auf das Wohlwollen westlicher Staaten angewiesen ist, hat DDT in der Provinz KwaZulu-Natal eingesetzt und die Zahl der Fälle in zwei Jahren um 91 Prozent reduziert.
Die Weltgesundheitsorganisation hat deshalb im Jahre 2006 DDT wieder zu Anwendung in Häusern befürwortet. Die Substanz allein wird das drängende Malariaproblem nicht lösen, darin sind sich die Experten einig. Es bedarf neuer Medikamente, es bedarf intensiver Forschungen nach einem Impfstoff, aber innerhalb eines ganzen Maßnahmennetzes wird DDT seinen Platz finden, eben weil es konkurrenzlos billig und lange wirksam ist.
Ob der Nobelpreis für Herrn Müller gerechtfertigt war, werden viele bezweifeln. Er hat ihn bekommen, weil seine Entdeckung im kriegszerstörten Europa ein epidemisches Seuchenelend verhinderte, das die Kriegsschrecken noch übertroffen hätte. DDT hat ohne Zweifel viele negative Seiten – aber viele von denen, die es angeprangert haben, wären ohne DDT heute gar nicht da. Mit Zahlen beweisen lässt es sich nicht.
Wie will man eine Seuche einschätzen, die es nicht gegeben hat?
Anilin
Der Aufseher schlug dem Hindu die Peitsche mitten durchs Gesicht. »Du sollst das Maul halten, wenn ich dir etwas sage! Die Stauden müssen zwei Handbreit über der Erde geschnitten werden. Keinen Zoll mehr, keinen Zoll weniger.«
»Großer Schiwa!« war der erste Gedanke, der, zugleich mit dem zuckenden Schmerz auf der Wange, Tengas Herz durchfuhr. »Was habe ich versäumt, dass du solche Schande kommen lässt über deinen treuesten Diener?«
An dieser Stelle, nach den ersten paar Zeilen des ersten Kapitels, hätte ich die Lektüre am liebsten wieder beendet. Ich war erst dreizehn und entsetzt über die Brutalität des Romananfangs, das hatte ich nicht erwartet. Wie kann man ein Buch mit der Schilderung einer solchen Gemeinheit anfangen?
Ich hatte es aus der Bibliothek der Arbeiterkammer ausgeliehen. Es hieß »Anilin«. Also etwas Chemisches, das hat mich interessiert, als Roman erst recht. Aber ich war nicht unbedingt der geeignete Adressat. Die Adressaten waren die Deutschen des Dritten Reiches, die »Volksmassen«. Ihnen sollten die Errungenschaften der deutschen Chemie nahegebracht werden. Das ist, man muss es zugeben, gelungen. »Anilin« erschien 1937 und erreichte eine Millionenauflage; bis in die späten Fünfzigerjahre lasen die Massen dieses merkwürdige Buch, in dem sich deutscher Nationalstolz mit Heroenverehrung – und Chemie mischt.
Denn der Autor Karl Aloys Schenzinger war alles in allem ein strammer Nazi, Herausgeber der Zeitschrift »Der Braune Reiter« (der Name ist Programm), wofür er sich als Autor des Propagandaromans »Der Hitlerjunge Quex« empfohlen hatte. Nach dem Krieg wurde er nur als Mitläufer eingestuft wie so viele andere stramme Nazis. Allerdings findet sich in »Anilin« keine explizite nationalsozialistische Propaganda, sondern eher die Grundattitüde: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.
Dazu ist es erst einmal nötig zu zeigen, wie krank diese Welt war und ist. Der arme Tenga in der Anfangsszene des Romans wird auf einer Indigoplantage erniedrigt – das Gerechtigkeitsgefühl jugendlicher Leser dann allerdings schon auf Seite drei befriedigt, wo der namenlos bleibende
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