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Von den Sternen gekuesst

Von den Sternen gekuesst

Titel: Von den Sternen gekuesst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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sprühen.
    Die nächstgelegenen Türen zu meiner Linken wirkten steinalt, sie waren verfallen und zeigten nur noch schemenhafte Spuren ihrer einstigen Zierde. Je weiter man jedoch in den Raum blickte, desto besser wurde ihr Zustand. Zum Ende dieser Wand hin wechselte das Material, die Türen waren aus Holz statt aus Stein gefertigt und die Farbe wirkte weniger blass.
    An der Stirnseite befanden sich gar keine dieser Türen, stattdessen war sie von oben bis unten mit Wandzeichnungen versehen. Daran anschließend und in der hintersten rechten Ecke beginnend, säumten wieder Türen die Wand zu meiner Rechten, diese wirkten fast neu. Auf dieser Seite befanden sich nur ein paar wenige knallbunte Türen, über den Rest der Wand erstreckten sich stattdessen reihenweise tiefe, leere Löcher in der Wand.
    Ich fuhr mit dem Finger über den Rand eines der mir nächstgelegenen, leuchtete kurz mit der Taschenlampe hinein und wusste sofort, was das war: ein Grab. Ich hatte genügend römische Ruinen in ganz Frankreich besichtigt, um die typischen Nischen solcher Grabkammern wiederzuerkennen. Die Römer hatten horizontale Löcher in Felswände geschlagen, um ihre Leichen darin zur letzten Ruhe zu betten.
    Bevor ich ein paar Schritte rückwärts machte, ließ ich den Lichtkegel der Taschenlampe auf der Suche nach möglichen Fallen vorsichtig weiter durch den großen Raum gleiten. Und dann fiel mir wieder ein, wer mich hergeschickt hatte: Bran! Bran hätte mich gewarnt, wenn es hier noch etwas gäbe, vor dem ich mich in Acht nehmen musste.
    Ich stand in seinem geheimen »Familienarchiv«, so hatte er es zumindest genannt. Mausoleum wäre vielleicht treffender , dachte ich, obwohl man es ja dann auch als Leichenarchiv betrachten könnte. Beruhigt von dem Gedanken, dass Bran mich niemals in Gefahr bringen würde, schaltete ich die Taschenlampe aus und steckte sie in die Tasche.
    Im Schein der Fackeln erkannte ich am anderen Ende einen Tisch, auf dem sich stapelweise Bücher und glänzende metallische Objekte befanden. Aus dem Grund war ich hier, Bran hatte gesagt, die Bücher, die er brauchte, waren darunter. Während ich mich tiefer in den Raum hineinbewegte, fiel mir auf, dass die letzte Tür an der rechten Wand mit frischen Blumen geschmückt war. Mit Rosen, Lilien und weißem Flieder.
    Ich ging darauf zu. Je näher ich kam, desto mehr mischte sich der Geruch frischer Farbe zu dem Duft der Blumen. Diese Tür war erst vor Kurzem bemalt worden. Schmerzhaft zog sich etwas in meiner Brust zusammen, als ich darauf zuhielt. Schon bevor ich nah genug war, um erkennen zu können, was mit großer Sorgfalt an den unteren Rand der Tür gepinselt worden war, wusste ich, was dort stehen würde.
    Gwenhaël Steredenn Tândorn
    Brans Mutter. Er musste sie vor ein paar Tagen hier beigesetzt haben. Ich kniete mich hin, um mir die Malerei der ebenerdigen Grabstätte besser ansehen zu können. Fasziniert betrachtete ich die feine Zeichnung der Hand mit den Flammen und die tattooähnlichen Wirbel, die sich darum rankten. Bran war kein Künstler, aber er hatte augenscheinlich viel Zeit und Gewissenhaftigkeit aufgebracht, um dieses Denkmal für seine Mutter zu gestalten. Eine kleine Karte hing an den Blumen, ich nahm sie in die Hand. In winzigen, spinnengliedrigen Buchstaben stand dort: »Dies ist für dich, Mom. Du wirst mir jeden Tag fehlen.«
    Das ging mir richtig ans Herz, schnell wischte ich mir die Träne weg, die meine Wange hinunterlaufen wollte. Ich wusste ganz genau, was Bran durchmachte. Meine Wunde war zwar nicht mehr so frisch wie seine, aber es war eine, die nie heilen und immer weiterbluten würde. Meine Eltern fehlten mir so unendlich. Und obwohl ich mittlerweile nicht mehr jeden Tag, jede Minute an sie dachte, kehrte der Schmerz bei jeder Erinnerung an sie mit grenzenloser und stets gleichbleibender Härte zurück.
    »Lebe wohl, liebe Gwenhaël«, flüsterte ich. Dann erhob ich mich langsam und ging zu dem Tisch. An der linken Kante entdeckte ich die von Bran verlangten Bücher: ein Stapel verschiedener Bände, die in rotes Leder gebunden waren. Doch noch bevor ich den Tisch erreichte, blieb ich stehen, weil die sich über die gesamte Stirnwand erstreckenden Gemälde meine Aufmerksamkeit erregten. Sie erinnerten mich an einen Ort in Florenz, den ich mal mit meiner Mutter besucht hatte – die Basilika Santa Croce. Ganz ähnlich wie die Wände dieser Kirche, die sich aus vielen kleinen Kapellen zusammensetzte, zierten hier zahlreiche

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