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Von den Sternen gekuesst

Von den Sternen gekuesst

Titel: Von den Sternen gekuesst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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Brustkorb, bis ich irgendwann das Gefühl hatte, meine Lunge würde implodieren.
    Irgendwann konnte ich einfach nicht mehr weiter. Mein Herz schlug so heftig, dass ich es in meinen Ohren hämmern hörte. An der Wand des Tunnels entlang ließ ich mich in die Hocke gleiten. Die Taschenlampe umklammernd, als hinge mein Leben von ihr ab, versuchte ich, mich vor einer ausgewachsenen Panikattacke zu bewahren.
    »Mach die Augen zu und stell dir vor, woanders zu sein«, hatte meine Mutter damals in den tiefen Berghöhlen der Ruby Falls gesagt. Also gut , Mom , dachte ich. Wo könnte ich denn gerade sein? Und schon musste ich an die Dachterrasse von La Maison denken, wo ich vergangenen Monat mit Vincent gewesen war. Um uns herum hatte sich das Panorama von Paris bei Nacht erstreckt, die gesamte Stadt funkelte, als wäre sie mit Millionen Lichterketten geschmückt worden.
    Vincent hatte mich dort geküsst, an diesem hochromantischen Ort. Wir alberten auf einer Sonnenliege herum, hatten geknutscht und gelacht und für ein paar unbeschwerte Augenblicke vergessen können, dass sich das Schicksal gegen uns verschworen hatte. Dieser kurze Moment gehörte ganz unserer Liebe, da war für nichts anders Platz. Dort, auf dieser Dachterrasse, hatte Vincent mir gesagt, dass er mich liebte. Dass er sich ein Leben ohne mich nicht vorstellen konnte.
    Ich spürte, wie die kalte Winterluft mein Gesicht streifte und wie Vincent mit dem Finger meinen Mund nachzeichnete, bevor er sich zu mir lehnte, um seine Lippen zu meinen zu führen.
    Dann verschwand er aus meiner Vorstellung und ich blieb allein auf der Dachterrasse zurück. Die herrliche Wärme war fort – plötzlich und vehement – und schon biss mir die Kälte der Winternacht in Finger und Gesicht. Sogleich drängte sich mir unsere derzeitige Situation auf und holte mich zurück ins Hier und Jetzt: Vincents Körper gab es nicht mehr, sein Geist war an eine Verrückte gebunden. Und ich befand mich nur noch wenige Meter von dem Ort entfernt, wo sich womöglich eine Lösung für ihn verbarg.
    Ich schlug abrupt die Augen auf und drückte mich vom Boden ab. Vornübergebeugt wie eine alte Frau schob ich mich langsam durch den sich immer weiter verengenden Gang. Der Weg schlängelte sich vor mir, das Licht der Taschenlampe beleuchtete nur wenige Meter davon, bevor er wieder abknickte. Mittlerweile war ich so tief unter der Erde, dass die Wände sich feucht unter meinen Händen anfühlten.
    Als ich um die nächste Biegung lief, stieß ich mit dem Fuß gegen einen Haufen Geröll und schoss unabsichtlich einen Stein nach vorn. Er verschwand um die nächste Kurve und das Echo, das zu mir zurückkam – das Geräusch von einem Dutzend Steinen, die durch einen enormen Hohlraum kullerten –, verriet mir, dass ich endlich angekommen sein musste.
    Ich duckte mich unter einem niedrigen Felsvorsprung hindurch und stand mit einem Mal in einer Höhle, die so riesig war wie eine Schwimmhalle. Um die Decke berühren zu können, hätte ich viermal so groß sein müssen. Ich leuchtete die Wände ab und entdeckte zwei wuchtige Holzfackeln in massiven Halterungen rechts und links der Öffnung, durch die ich gerade getreten war. Aus meiner Tasche angelte ich ein Feuerzeug, denn Bran hatte mir vorab gesagt, ich solle eins mitbringen. Ich hielt die Flamme erst an die eine, dann an die andere Fackel. Ich habe gerade Fackeln angezündet , dachte ich und speicherte diese Information in dem Teil meines Gehirns, der im letzten Jahr rapide gewachsen war und das Etikett trug: »Abenteuerliche Dinge, die ich zum ersten Mal gemacht habe.«
    Während die Fackeln zum Leben erwachten, brachte ihr Qualm mich zum Husten, sodass ich erst einmal tief die abgestandene Höhlenluft einatmen musste. Der dunkle Steinboden tanzte geradezu im flackernden Fackellicht, was mir alles noch unwirklicher erscheinen ließ.
    Die Wände zu beiden Seiten wirkten wie gigantische Bienenwaben. Lauter sechseckige Felder türmten sich übereinander auf bis zur Decke. Ich zählte ein paar Reihen, überschlug dann schnell und kam zu dem Schluss, dass sich dort um die sechshundert solcher Waben befinden mussten.
    Jede Wabe war von einer Tür verschlossen, die reichlich verziert war mit Buchstaben, Blumen und gewundenen Figuren, die an Tribaltätowierungen erinnerten. Eins hatten sie alle gemein: Auf die Mitte einer jeden Tür war eine Hand gemalt, von deren Fingerspitzen gelbe und orangefarbene Tropfen flogen, so als würden die Finger Funken

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