Von den Sternen gekuesst
warf einen Blick zu Mr Gold, der zustimmend nickte.
»Ich unterbreche diesen tiefschürfenden Gedankenaustausch ja nur ungern«, meldete sich Jules zu Wort. Ein neuer, bestimmter Ton hatte sich in seine Stimme gemischt. »Aber Vincent erinnert mich gerade daran, dass unser Zeitfenster ziemlich eng ist – und jederzeit zuschlagen kann, wenn unsere allgemein bekannte Gegnerin entscheidet, mit den Fingern zu schnippen und ihn zu sich zurückzuholen. Lasst uns doch in die Gänge kommen und schon mal mit der Matschskulptur anfangen.«
»Gut«, sagte Mr Gold. »Wir haben Glück, dass das Thymiaterion sich hier im Museum befindet. Die Restaurationswerkstatt liegt im Stockwerk über uns, dort gibt es Ton. Jules kann mir dabei helfen, ein paar Kartons mit der Sackkarre herzubringen.«
»Und was ist mit der Kiste?«, fragte ich.
Mr Gold zog ein schweres Schlüsselbund aus der Tasche und klimperte, bis er den gesuchten Schlüssel gefunden hatte. Dann schaute er auf und mir direkt in die Augen. »Solange wir keine Ahnung haben, wofür sie steht, müssen wir wohl einen Versuch ohne dieses Detail wagen.«
»Aber …«, setzte ich an, doch Vincent unterbrach mich. Mon ange, uns läuft die Zeit davon .
Während sich die kleine Gruppe vorübergehend auflöste, konnte ich nicht anders, als über die Bedeutung der mysteriösen Kiste nachzudenken. Selbst wenn wir alle nötigen »Zutaten« für das Ritual hatten, war es fraglich, ob es funktionieren würde. Wir handelten komplett aus dem Bauch heraus. Konnten wir wirklich davon ausgehen, bei etwas so Kompliziertem Erfolg zu haben, wenn wir uns dabei einzig auf unsere Fähigkeiten beim Lösen dieses Rätsels verließen?
Ich schob all meine Zweifel beiseite. Dies war unsere einzige Chance. Der Versuch konnte ja nicht schaden.
Es war fast zwei Uhr morgens, als wir endlich einen Kreis um das Thymiaterion bilden konnten. Obwohl sich seine Sammlung weitab vom Rest des Museums befand, behagte es Mr Gold nicht gerade, etwas so Großes wie einen Golem anzuzünden. Er war eifrig umhergeeilt und hatte sämtliche Rauchmelder deaktiviert, die er finden konnte.
Papy und Bran hatten sich die Nachschlagewerke des Museums vorgeknöpft, während ich Jules und Mr Gold beim Formen des Tons unterstützt hatte. Nun stieß mein Großvater mit frustrierter Miene zu uns. »Ich habe keinen brauchbaren Hinweis auf die Kiste finden können«, bedauerte er, stellte sich an seinen vorgesehenen Platz und nahm die provisorische Fackel in die Hand, die Mr Gold aus einem Besenstiel gebastelt hatte, indem er einen benzingetränkten Lappen ans eine Ende wickelte. Jules zündete ein Streichholz an und hielt es vorsichtig daran. Die Flammen schlugen so heftig aus, dass Papy und ich überrascht einen Schritt zurückwichen.
Das Licht der Fackel warf lange Schatten und erweckte die überall im Saal ausgestellten Skulpturen zum Leben. Die Tonfigur lag zusammengerollt in der Schale des Räuchergefäßes, glatzköpfig und glatt.
Mr Gold hatte die Hände und Füße nicht weiter ausdefiniert und darauf verwiesen, dass der auf die Urne geritzte Golem genauso wenig über Finger noch Zehen verfügte. Doch Jules hatte einen Anfall bekommen und darauf bestanden, den Ton so realistisch wie eben möglich zu formen. Es verletze sein künstlerisches Empfinden, seinen Freund auf so wenig ansprechende Weise modelliert zu sehen. Drum machte er sich an die Arbeit, und als er fertig war, hatte die Tonfigur wirklich etwas von Vincent. Obwohl sie recht ungewöhnlich aussah, wirkte sie zerbrechlich-menschlich – wie ein schlafendes Kind. Und der Gedanke, dass Vincents Geist möglicherweise hineinfahren und sie zum Leben erwecken würde, bewegte mich zutiefst. Ich streckte die Hand aus und berührte die kühle, glatte Oberfläche mit den Fingern.
Bran hatte seine Brille abgelegt. Er sagte, für die bevorstehende Aufgabe brauchte er eine andere Art von Sehvermögen. Ohne sie wirkte er viel zarter, menschlicher und weniger wie eine Zeichentrickfigur. Er sah aus wie ein Mann im mittleren Alter, dem es geglückt war, noch immer pechschwarzes, volles Haar zu haben. Doch ohne die extrem vergrößerten Augen erschien er beängstigend hager. »Sind wir so weit?«, fragte er und schaute sich halb blind in der Runde um.
»Vincent, bist du bereit?«, fragte ich.
Ich könnte nicht bereiter sein, mein Schatz , sagte er.
Ich nickte den anderen zu.
»Dann wollen wir jetzt beginnen«, kommentierte Mr Gold.
Bran hielt beide
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