Von den Sternen gekuesst
dass ihnen in alten Überlieferungen die Gabe nachgesagt wurde, volante Bardia-Seelen aufzulösen und gewissermaßen an das Universum zu übergeben.«
»Soll das heißen, Vincent wurde gerade … aufgelöst?« Ich erstickte fast an den Worten, während Tränen in meine Augen schossen. »Wie bekommen wir ihn denn zurück? Vom Universum oder woher auch immer?« Ich war vor Schreck wie gelähmt und spürte meinen Körper nicht mehr. Wenn Papy mich nicht gestützt hätte, wäre ich vermutlich hingefallen.
Nein , mon ange. Ich bin noch hier , hörte ich Vincents Stimme. Sie war nur schwach und klang kaum lauter als ein Flüstern.
»Gott sei Dank, er ist noch da«, verkündete ich. Meine Tränen flossen nun ungehemmt und ich ließ mich auf den Boden sinken, wo ich den Kopf auf meine Knie legte. Ich fühlte mich, als hätte mich jemand hochgehoben, geschüttelt und dann hingeworfen, so intensiv waren der Schock und die folgende Erleichterung.
Papy zog sein Taschentuch aus der Jacke und beugte sich damit zu mir herunter.
Bran taumelte rückwärts und setzte sich auf den Boden. Mr Gold lief zu ihm, legte ihm einen Arm um die Schultern und sagte: »Es ist in Ordnung, Monsieur Tândorn. Er ist noch da.«
Jules hockte sich neben mich und presste nun ein Handtuch auf seinen Arm. Als ich das Blut sah, war mein eigener Schmerz wie weggeblasen. »Komm, ich helf dir«, bot ich an und griff nach dem Erste-Hilfe-Kasten, den Mr Gold schon vorab bereitgestellt hatte. Dann desinfizierte und bandagierte ich Jules’ Schnittwunde.
»Na, das war ja ein voller Erfolg«, sagte Jules und schnappte nach Luft. »Ich hab nicht nur eine Menge Blut verloren, sondern außerdem fast einen Herzinfarkt bekommen.«
»Wir können jetzt nicht aufgeben«, sagte ich und tat mein Bestes, den entsetzlichen Gedanken zu ignorieren, der mir wieder und wieder durch den Kopf rotierte: Du warst so knapp davor, Vincent für immer zu verlieren. »Aber wir müssen herausfinden, was wir falsch gemacht haben. Ich wette, es hat mit diesem Kistensymbol zu tun. Irgendetwas haben wir übersehen.«
Papy meldete sich zu Wort. »Mir ist klar, dass äußerste Eile geboten ist, und das verstehe ich auch. Doch da wir nun einen ziemlich guten Eindruck davon bekommen haben, wie extrem gefährlich diese Unternehmung ist, würde ich vorschlagen, für heute erst einmal einen Strich zu ziehen und in Ruhe über alles nachzudenken.«
Wir alle stimmten einhellig zu. Zwar machte es mir Angst, dass wir mit jeder vorrückenden Minute dem Moment näher kamen, in dem Violette Vincent zu sich zurückholen würde. Aber ohne weitere Informationen fortzufahren, war einfach viel zu riskant.
»Alles in Ordnung, Kumpel?«, stellte Jules in den Raum. Während er lauschte, lächelte er schwach. »Er sagt, das war jetzt das zweite Mal binnen weniger Tage, dass er fast vollständig ausgelöscht wurde. Allmählich gewöhnt er sich daran.«
Wenn auf eins Verlass war, dann wohl darauf, dass Vincent auch in einem solchen Moment seinen Sinn für Humor nicht verlor. Dabei sagte er das sicher nur, um die allgemeine Stimmung zu heben. Auch er musste sich zu Tode erschrocken haben.
Ich dachte kurz nach und wandte mich dann an Mr Gold. »Ich würde doch gern einen genaueren Blick auf das Foto der Archivwand werfen, um nachzusehen, ob die Bildunterschrift vielleicht doch lesbar ist«, sagte ich. »Sie war länger als der Reim, den Bran vorhin vorgetragen hat. Könnte doch sein, dass sich dort der fehlende Hinweis verbirgt.«
»Ich habe Ihnen zwar ein Zimmer in einem Hotel gebucht, das nur ein paar Blocks entfernt von hier liegt«, antwortete er. »Aber wenn Sie meinen Rechner nutzen wollen, um das Foto darauf zu überspielen und zu vergrößern …«
»Ich habe meinen Laptop mitgebracht«, unterbrach Papy ihn. »Wir können uns das Foto morgen früh darauf ansehen.«
»Und Jules, ich habe unsere Anverwandten in Brooklyn darüber informiert, dass du dort übernachten wirst«, sagte Mr Gold. »Ich dachte mir, dort würdest du dich wohler fühlen als in einem Hotel, schließlich kennst du ein paar von ihnen von der letzten großen Versammlung in London.«
Jules nickte matt. »Klingt perfekt.«
»Gut. Dann bestelle ich gleich noch einen Arzt, der dort vor Ort deinen Arm behandeln kann.«
Kaum hatten wir das Museum verlassen, winkte Mr Gold schon ein Taxi für Jules heran. Bran, Papy und ich holten unser Gepäck aus Mr Golds Apartment und folgten ihm dann zu einem kleinen Hotel in
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