Von den Sternen gekuesst
der Park Avenue.
Ich war mittlerweile so müde, dass es sich anfühlte, als würde ich schlafwandeln. Seit die Dringlichkeit unserer Aufgabe nachgelassen hatte, schien meinem Körper plötzlich wieder eingefallen zu sein, dass ich seit anderthalb Tagen auf den Beinen war. Ich taumelte in das Hotelzimmer, riss mir die Klamotten vom Leib und fiel schwer ins Bett.
Vincent blieb bei mir, flüsterte ein inniges Je t’adore , bevor ich einschlief, und begrüßte mich mit Bonjour , mon amour , als ich am Morgen die Augen öffnete. Ich schielte zum Wecker auf dem Nachttisch. Er zeigte noch nicht mal sechs Uhr früh und ich war bereits hellwach.
Hab ich dir schon mal gesagt, wie süß du bist, wenn du schläfst?
Maulend zog ich mir die Bettdecke über den Kopf. »Ich fühle mich alles andere als süß. Und ich fürchte, ich sehe eher genauso übermüdet aus, wie ich bin.« Dann fielen mir die Geschehnisse der letzten Nacht wieder ein und prompt setzte ich mich alarmiert auf.
»Dabei ist die eigentlich Frage: Wie fühlst du dich?«
Wenn ich noch einen Körper hätte, würde ich »schwach« sagen. Wie erkläre ich das am besten? Ich fühle mich zerstäubt, nicht mehr am Stück. Vielleicht beschreibt es das Wort ausgedünnt .
Ich wusste, dass er mich damit beruhigen wollte, doch in mir war nur Platz für Angst. Wenn wir einen zweiten Versuch wagten und er diesmal aufgelöst wurde … Dann wäre das wirklich das Ende. Und das wäre einfach ungerecht, wir standen doch eigentlich gerade erst am Anfang.
Dabei war mir vollkommen klar, dass wir nicht für immer zusammenbleiben konnten; allein meine Sterblichkeit begrenzte unsere gemeinsame Zeit. Achtzig Jahre – oder wie hoch die Lebenserwartung auch gerade war – hatten auf mich stets wie eine lange Zeit gewirkt. Doch das war, bevor ich Unsterbliche kennenlernte.
Es gab so vieles, was Vincent und ich noch nicht gemacht hatten. Mehr denn je wollte ich ihm einfach nah sein. Ihn in den Armen halten, von ihm gehalten werden und mich so eng an ihn schmiegen wie eben möglich. Ihm alles von mir geben und annehmen, was er mir gab. Doch das stand gerade gar nicht zur Debatte. Und zog man die Vorkommnisse der letzten Nacht in Betracht, würde es wohl auch nie wieder zur Debatte stehen.
Als hätte er meine finsteren Gedanken gelesen, wechselte Vincent schnell das Thema. Dein Großvater und Bran sind schon frühstücken. Sie haben dir einen Zettel unter der Tür durchgeschoben.
»Dabei hätten sie ihre Nachricht ja auch gleich bei meinem unsterblichen Anrufbeantworter hinterlassen können«, sagte ich.
Sehr witzig.
»Dreh dich mal um. Oder warte draußen. Oder so«, verlangte ich, während ich die Bettdecke zurückschlug und mein T-Shirt richtete. »Ich muss mich anziehen.«
Ich gucke nicht , versicherte Vincent.
»Ja, sicher«, sagte ich und schlüpfte ein bisschen verlegen aus meinem T-Shirt, bevor ich mir etwas Frisches aus dem Koffer holte. »Wie oft hast du mich schon nackt gesehen?« Darüber hatte ich schon oft gegrübelt, doch bisher nicht die Möglichkeit gehabt, es wirklich zu fragen.
Ich bin ein Ehrenmann , sagte Vincent, kein Stalker . Ich melde mich immer bei dir, wenn ich in deiner Nähe bin.
»Wie oft?«, beharrte ich.
Ich schwöre es dir, Kate. Ich würde eine solche Situation nie ausnutzen. Das klingt jetzt vielleicht altmodisch, aber ich will dich so nicht sehen, ehe du es mir erlaubst.
Darüber musste ich grinsen. Vincent war einfach ein Kavalier. Die meisten Jungs in meinem Alter hätten die Gelegenheit, ihre Freundin nackt zu sehen, sicher nicht verstreichen lassen, wenn klar war, dass sie es nicht herausfinden konnte. Ein weiterer unschlagbarer Vorteil davon, einen Teenager zum Freund zu haben, der aus einer anderen Zeit stammte.
Es blieb eine Weile still.
Wenngleich es durchaus verlockend war.
»Vincent!«
Darf ich wieder gucken?
»Ja, ich bin angezogen«, sagte ich.
Kennst du den Ausdruck ›Un rien te va‹? , fragte Vincent.
»Nein«, gab ich zu.
Er bedeutet so viel wie: Du kannst alles tragen. Ich finde dich sogar kurz nach dem Aufwachen viel umwerfender, bevor du Zeit hattest, dich zurechtzumachen.
Ein Lächeln spannte sich über mein komplettes Gesicht. »Das ist das Schönste, was je ein Junge zu mir gesagt hat.«
Dabei sage ich bloß die Wahrheit , hörte ich Vincent.
»Du kannst froh sein, dass ich gerade nicht über dich herfallen kann«, entfuhr es mir.
Das sehe ich anders , sagte er.
Ich kannte dieses Verlangen nach Vincents
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