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Von der Erde zum Mond

Von der Erde zum Mond

Titel: Von der Erde zum Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Aber erkennst Du ihn? fragte Michel Ardan, den bei solchem Anlaß sein kurzes Gesicht im Stiche ließ.
    – Ja! ja! er wendet sich um, erwiderte Maston.
    – Und es ist? …
    – Der Kapitän Nicholl!
    – Nicholl! rief Michel Ardan, dem das Herz sich zusammen schnürte.
    Nicholl ohne Waffe! Also hatte er von seinem Gegner nichts mehr zu fürchten? Aber sie waren noch keine fünfzig Schritte weiter gegangen, als sie stehen blieben, um den Kapitän aufmerksamer zu betrachten. Sie meinten einen blutbefleckten, in seiner Rache gesättigten Menschen zu treffen. Und sie staunten, wie sie ihn sahen.
    Zwischen riesenhaften Tulpenbäumen war ein Maschennetz gespannt, in dessen Mitte ein Vöglein, dessen Flügel sich darein verwickelt hatten, mit kläglichem Geschrei sich abzappelte. Der Vogelsteller, der dieses unzerreißliche Netz gespannt hatte, war kein menschliches Wesen, sondern eine giftige, in der Landschaft einheimische Spinne, von der Größe eines Taubeneies mit enormen Krallen. Als das häßliche Thier eben über seine Beute herfallen wollte, wurde es fortgescheucht und suchte auf den Zweigen des Baumes seine Zuflucht, denn es sah sich selbst von einem fürchterlichen Feind bedroht.
    Wirklich legte der Kapitän Nicholl seine Büchse bei Seite, vergaß die Gefahr seiner Lage, und war sorgfältig bemüht, das im Garne der abscheulichen Spinne gefangene Thierlein zu befreien. Als er damit fertig war, ließ er das Vöglein flattern, das mit lustigem Flügelschlag verschwand.
    Nicholl sah mit gerührtem Blick ihm durch die Zweige nach, als er die mit bewegter Stimme gesprochenen Worte vernahm:
    »Sie sind doch ein wackerer Mensch!«
    Er wendete sich um. Michel Ardan stand vor ihm, und wiederholte in allen Tonarten:
    »Und ein liebenswürdiger Mensch!«
    – Michel Ardan! rief der Kapitän. Was wollen Sie hier, mein Herr?
    – Ihnen die Hand drücken, Nicholl, und Sie abhalten, entweder Barbicane oder sich selbst um’s Leben zu bringen.
    – Barbicane! rief der Kapitän, den ich seit zwei Stunden vergeblich suche! Wo steckt er? …
    – Nicholl, sagte Michel Ardan, das ist nicht sein! Man muß stets seinen Gegner achten; seien Sie ruhig, wenn Barbicane noch bei Leben ist, werden wir ihn finden, und um so leichter, als er, wenn er sich nicht damit vergnügt hat, verfolgten Vöglein beizustehen, uns ebenfalls suchen muß. Aber wenn wir ihn gefunden haben, so wird – Michel Ardan sagt Ihnen dies – von einem Duell zwischen Ihnen keine Rede mehr sein.
    – Zwischen dem Präsidenten Barbicane und mir, erwiderte Nicholl ernst, besteht eine so feindliche Rivalität, daß nur der Tod …
    – Gehen Sie doch! Gehen Sie damit, fuhr Michel Ardan fort, so wackere Leute, wie Sie, können sich wohl einander zuwider sein, aber man achtet sich. Sie werden sich nicht schlagen.
    – Ich werde mich schlagen, mein Herr.
    – Nimmermehr.
    – Kapitän, sagte darauf J.T. Maston mit tief bewegtem Herzen, ich bin des Präsidenten Freund, sein
alter ego
, ein anderes Exemplar von ihm; wenn Sie durchaus einen um’s Leben bringen wollen, zielen Sie auf mich, es wird ganz dasselbe sein.
    – Mein Herr, sagte Nicholl, indem er krampfhaft seine Büchse in die Hand nahm, solche Scherze …
    – Freund Maston scherzt nicht, erwiderte Michel Ardan, und ich begreife die Idee, für den Mann, den man liebt, sein Leben zu lassen! Aber weder er, noch Barbicane werden durch die Kugel des Kapitäns Nicholl um’s Leben kommen, denn ich habe den beiden Rivalen einen Vorschlag zu machen, der so verführerisch ist, daß sie eifrig bereit sein werden, ihn anzunehmen.
    – Und welchen? fragte Nicholl, mit augenscheinlichem Zweifel.
    – Geduld, erwiderte Ardan, ich kann ihn nur in Gegenwart Barbicane’s mittheilen.
    – So wollen wir ihn suchen, rief der Kapitän.
    Und sofort machten sich die drei Männer auf den Weg; der Kapitän entlud sein Gewehr, hing’s um seine Schulter und ging schweigend im Trott weiter.
    Noch eine halbe Stunde lang suchten sie vergeblich. Maston ward von einer schlimmen Ahnung ergriffen. Er faßte Nicholl strenge in’s Auge und fragte sich, ob etwa, nachdem des Kapitäns Rache befriedigt worden, der unglückliche Barbicane von einer Kugel getroffen bereits leblos in seinem Blute unter einem Gebüsch liege. Michel Ardan schien den gleichen Gedanken zu haben, und beider Blicke maßen bereits fragend den Kapitän Nicholl, als Maston plötzlich stille stand.
    Zwanzig Schritte von da gewahrte man unbeweglich am Fuß einer

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